Diagnose zur Daemmerung
der Strömung gut stand, dann stapfte ich zurück zu den Tunneln, vorangetrieben durch das drängende Wasser an meinen Füßen.
Reine Wut trieb Ti an. Unaufhörlich drückte er sich gegen Montalvos magische Front und machte dabei tatsächlich kleine Fortschritte. Ich kam an Großmutter vorbei, die Luz dabei half, wieder sicheren Halt zu finden. Zwar wusste ich nicht, was ich gegen Montalvo ausrichten sollte, aber irgendjemand musste Asher beistehen. Er durfte nicht einsam und allein dem Wahnsinn verfallen. Ich konnte ihn nicht einfach hier zurücklassen. Ganz, ganz langsam kroch er Schritt für Schritt durch das Wasser der wartenden Hand seines Vaters entgegen. Ein heller Blitz zeigte mir sein Gesicht. Dort war kaum noch etwas geblieben von dem Mann, den ich kannte; er wirkte eher wie ein Golem, starr wie Ton.
Ich machte ein paar holprige Schritte, ließ mich von der Strömung vorwärtsziehen und landete dabei zweimal auf den Knien. »Asher, nicht!« Mühsam kämpfte ich mich auf die Füße und hustete die faulige Brühe aus, die in meinen Mund gelaufen war. »Warte auf mich! Weißt du nicht mehr? Du hast gesagt, du willst mich dabeihaben!«
»Halt den Mund, Frau, bevor er für uns beide verloren ist«, befahl Montalvo. Als ich drauf und dran war, ihm eine passende Antwort zu geben, nahm er mir wieder die Stimme.
Mit all meiner Kraft stürmte ich durch das Wasser, bevor die Magie mich festhalten konnte wie Ti. Sobald ich Asher erreichte, kniete ich mich schützend vor ihn und sah ihn an.
»Geh nicht!« Lautlos formten meine Lippen die Worte, aber nun konnte ich ihn in den Arm nehmen und festhalten. »Verlass mich nicht.«
Ich wusste nicht, ob ich das Richtige tat: Er wehrte sich gegen mich, würde als Nächstes wahnsinnig werden und jede Erinnerung an mich verlieren. Aber ich konnte nicht zulassen, dass Montalvo den Sieg davontrug. Der Asher, den ich kannte, hätte das nicht gewollt.
Sein Körper verwandelte sich unter meinen Fingern, er nahm jede Gestalt an, die ihm zur Verfügung stand. Vorsichtig tastete ich mich im Wasser zu seinen Händen vor, die er immer noch krampfhaft auf den Boden drückte, und schob meine eisigen Finger in seine. Nun hing mein Kinn knapp über der Wasseroberfläche, doch ich legte meine kalte Wange an seinen Rücken. Rief tonlos seinen Namen, als würde ich ihn von den Toten zurückholen.
Die knisternde Spannung in der Luft ließ auf einmal nach, und sofort stürzte sich Ti auf Montalvo. Der bruja riss abwehrend die Hände hoch, als der Zombie einen Schlag gegen seine Brust führte.
»¡Basta ya!«, schrie Großmutter. Ein Blitz raste heran, ignorierte alle exponierteren Punkte, in die er eigentlich hätte einschlagen müssen, und traf in genau dem Moment Montalvos Brust, als Tis Faust ihn berührte. Der Zombie wurde zurückgeschleudert, und ein tiefes Donnern erschütterte die Erde.
Der Blitz verharrte in Montalvos Körper und nagelte ihn an der Wand des Betongrabens fest. Viel länger als es einem Blitz möglich sein sollte, fraß er sich in ihn hinein: Als Erstes verbrannten seine Kleider, so restlos, als hätte es sie nie gegeben. Vielleicht waren sie sowieso nur ein Produkt der Magie gewesen. Dann war seine Haut an der Reihe, und wie eine furchtbare Säure zerstörte der Blitz nach und nach all ihre Schichten. Montalvo verlor eine Gestalt nach der anderen, wie eine Schlange bei der Häutung – eine Sekunde lang erschienen sie, dann zerfielen sie zu Nichts. Es waren die Gesichter aller Menschen, die er je berührt hatte; der Blitz zwang ihn, ihre Gestalt nach und nach anzunehmen, und jeder Einzelne von ihnen schrie vor Schmerz.
»Schau nicht hin!«, befahl ich Asher, obwohl ich eigentlich gar nicht mehr wusste, wer er war. So etwas sollte niemand mit ansehen müssen, und schon gar kein Gestaltwandler.
Nach einem letzten, lang gezogenen Jammern verstummten die Schreie endlich. Ti lag noch immer dort, wo er gelandet war, und Großmutter – die nun unbestreitbar Santa Muerte verkörperte – leuchtete nicht mehr orange, sondern strahlend weiß. Ihre Krankenhaushemden waren verschwunden, stattdessen wurde ihr Körper von einem wabernden, durchscheinenden Lichtschleier bedeckt; Hände und Schädel bestanden unverkennbar aus Knochen.
Trotz des kalten Wassers spürte ich plötzlich, wie Asher den Druck meiner Hände erwiderte. Er zuckte nicht mehr, hatte wieder eine dauerhafte Gestalt. Mir war zwar nicht ganz klar, was das zu bedeuten hatte, aber unsere verschränkten Finger
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