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Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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stimmte. Asher kam den beiden Kontrahenten nie zu nahe, sondern bewegte sich nur auf der Stelle, wie eine Figur aus einem alten Videospiel, das im Pausenmodus war. Kämpfte er gegen seinen Vater an, oder hielt der ihn dort fest, während er mit Ti rang? Voller Sorge umklammerte ich Olympio.
    Als Großmutter uns erreichte, sah sie irgendwie größer aus, als hätte sich ihre Wirbelsäule plötzlich begradigt. Außerdem ging ein sanftes Leuchten von ihr aus, wie der erhellte, mit Smog versetzte Nachthimmel über einer Großstadt.
    »Elige«, sagte sie, als sie mich erreicht hatte. »¡Elige!«
    »Was zum Teufel reden Sie da?«
    »¡Elige! ¡Elige uno!«
    »Sie sagt, du sollst wählen. Du sollst einen auswählen«, übersetzte Olympio für mich. Ich konnte sehen, dass die Wunde an der Stelle, wo ich ihn an mich presste, weiß wurde, blutleer. Nicht allein der Regen sorgte dafür, dass er so kalt wurde – ich war kurz davor, ihn zu verlieren.
    »Frag sie, was sie damit meint!« Vor lauter Frust hätte ich ihn fast geschüttelt.
    »¡Elige!«, kreischte sie wieder. »¡Elige!« Wie einen Befehl schleuderte sie mir dieses Wort entgegen, und plötzlich verstand ich.
    Wenn das, was Montalvo in diesem Knochenraum versucht hatte, geglückt war, und die Magie, die dort drinnen versammelt wurde, etwas bewirkt hatte … dann stand vor mir Santa Muerte. Die Heilige des Todes.
    Seit zehn Tagen flehte ich nun Gott an, dass er meine Mutter leben lassen sollte. Warum sollte ich also nicht die Schutzpatronin der Verdammten fragen, schließlich war sie tatsächlich hier?
    »¡Elige!«, schrie sie noch einmal, passend untermalt von einem Donnergrollen.
    Wähle. Meine Mom oder … Olympio.
    Gott, steh mir bei.

Kapitel 44
     
    Was für eine schreckliche Entscheidung war das denn? Was für eine gefühlskalte, grausame Gottheit verlangte, dass man zwischen einem Freund und der eigenen Mutter wählte?
    »Ich hasse dich!«, brüllte ich gegen den Sturm an.
    »¡Elige!«, kreischte sie zurück.
    Meine Mom glaubte an ein Leben nach dem Tod. Auf keinen Fall konnte ich Olympio, diesen abgebrühten Jungen, dem ich den ganzen Mist eingebrockt hatte, ins Jenseits schicken.
    »Ihn! Rette ihn! Wenn du es kannst.« Panisch schüttelte ich den schlaffen Körper. »Tu es, aber schnell!«
    Großmutter starrte mich durchdringend an, dann wanderte ihr nachdenklicher Blick zu dem Jungen in meinen Armen. Im nächsten Moment wandte sie sich ab und ging davon. Das dumpfe Leuchten verschwand mit ihr.
    »Olympio?« Sein Gesicht war nass vom Regen und von meinen Tränen. »Komm schon, du musst es schaffen!«
    »Déjame en paz, estoy bien.«
    »Ich verstehe kein Spanisch, schon vergessen?« Wieder schüttelte ich ihn. »Olympio?«
    »Hör auf, mir geht’s gut.« Mit einem gereizten Schnaufen setzte er sich auf. Ich gab die Wunde frei – die Haut unter meinen Fingern war unversehrt.
    Eine Welle schwappte heran. Montalvo hatte Ti von den Füßen gerissen. Plötzlich lag wieder diese Spannung in der Luft, die ich in dem finsteren Haus gespürt hatte: Der bruja sammelte seine Kräfte. Auch Asher wurde von der Welle umgerissen und landete auf den Knien.
    »Asher, komm zu mir! Es muss nicht so sein, ich kann dich befreien!«
    Asher stützte den Kopf in die Hände und sackte in sich zusammen, als wäre er ins Gebet vertieft. Dann hörte ich seinen gequälten Schrei: »Nein!«
    Ti erhob sich und brüllte dröhnend. Wieder wollte er sich auf Montalvo stürzen, wurde aber genauso zurückgedrängt wie ich in der Knochenkammer. Ich konnte sehen, wie er gegen die magische Kraft ankämpfte, sich dagegenstemmte, als müsse er einen Hurrikan bezwingen.
    Großmutter war nun auf dem Weg zu ihm.
    In diesem Moment kroch Luz aus einem der Tunnel. Mit ihren vom Silber verbrannten Händen drückte sie Adriana an die Brust. Mühsam richtete sie sich auf, rückte ihre Last zurecht und kam mit schweren Schritten auf uns zu.
    »Ist sie in Ordnung?«, fragte Olympio.
    Unsicher schüttelte ich den Kopf. »Keine Ahnung.«
    Genau in der Sekunde, als Luz stolperte, bot Großmutter den beiden ihren Arm. Adriana klammerte sich an ihre Gefährtin, während Luz gegen die Strömung ankämpfte.
    Montalvo streckte Asher die Hand entgegen. Der weigerte sich, indem er zögernd den Kopf schüttelte – quälend langsam.
    Ein Blitz zuckte, Donner grollte. Die Plane eines tecato jagte an uns vorbei. Im letzten Moment schnappte ich sie mir und wickelte Olympio darin ein. Ich überzeugte mich, dass er trotz

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