Diagnose zur Daemmerung
verstanden, übersetzte die Tochter alles und verlieh meinen Worten ihre ganz eigene Gewichtung – vor allem dem Teil, wo es ums Sterben ging. Eigensinnig und stolz verkündete mir die Mutter auf Englisch: »Ich glaube daran, dass ich gesund werde. Und deshalb wird das auch geschehen.«
»So funktioniert das aber nicht«, widersprach die Tochter.
Die Mutter reckte trotzig das Kinn. »Bei mir schon.«
Bevor der Streit noch schlimmer wurde, meldete ich mich zu Wort: »Ich weiß, wie schwer es ist, zu akzeptieren, dass es manchmal nichts gibt, was eine miese Situation verbessern könnte.« In dem Moment, als ich es aussprach, wurde mir klar, dass ich mir das eigentlich selbst sagen sollte. Zum ersten Mal könnte ich all die seltsamen Dinge ignorieren, die mir passiert waren, und einfach nur ein ganz normales Leben führen, normale Dinge tun, normalen Menschen helfen. Und meine Mom würde sterben, wie Menschen mit Brustkrebs im vierten Stadium das meistens – normalerweise – eben taten.
Ich wandte mich der Mutter zu und richtete meine gesamte Aufmerksamkeit auf sie. »Sie müssen Ihre Medikamente nehmen. Ihre Tochter liebt Sie und möchte nicht ohne Sie sein. Den Wunsch, dass Sie leben, können Sie ihr doch wohl nicht zum Vorwurf machen, oder?«
Das Gesicht der alten Dame verzog sich bei meinen Worten kurz, doch sie erholte sich schnell wieder und seufzte schwer. »Ihr zuliebe könnte ich ja so tun, als würden die Spritzen helfen.«
»Sehr schön.« Kopfschüttelnd half die Tochter ihr vom Tisch herunter, froh über diesen kleinen Sieg. Sie scheuchte ihre Mutter aus dem Zimmer, drehte sich dann aber noch einmal zu mir um und verdrehte in stillem Einvernehmen mit mir die Augen. Ihr Blick sagte: »Sind alte Leute in ihrer Dickköpfigkeit nicht verrückt?« Ich nickte. O ja, das waren sie.
Als ich mit meinem Mittagessen nach draußen ging, stieß ich auf Olympio. Ich gab ihm das Extrasandwich, das ich für ihn gemacht hatte, doch heute rümpfte er nur die Nase.
»Nein, danke, ich habe schon gegessen.«
»Auch gut.« Ich schlang mein Brot herunter. »So von Fachmann zu Fachmann: Hat dein Großvater in letzter Zeit irgendjemanden geheilt?«
Olympio grunzte. »Natürlich. Er heilt jeden, den er berührt.«
»Auch eine ältere Dame mit Diabetes? Es klang so, als wäre es erst vor Kurzem gewesen.«
Er kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Warum?«
»Du musst ihm klarmachen, dass er nicht behaupten kann, Diabetes heilen zu können, Olympio. Was wäre, wenn die Dame nach der Heilung nach Hause gegangen wäre, ihre Medikamente nicht mehr genommen hätte und dann gestorben wäre?«
Olympio drehte sich auf dem Absatz um und stiefelte davon. »Wer sagt denn, dass er sie nicht geheilt hat? Wenn sie es noch bis hierher geschafft hat, kann sie ja wohl nicht tot sein, oder?«, rief er über die Schulter zurück.
»Das ist doch keine Entschuldigung, Olympio. Und selbst wenn das deinem Großvater nicht klar ist – du weißt das ganz genau.« Ich ging hinter ihm her und wartete darauf, dass er sich zu mir umdrehte. Auch wenn er noch so abstruse Dinge behauptete, musste Olympio doch wissen, dass sein Großvater Märchen erzählte.
Der Junge holte tief Luft, als wollte er mir etwas erklären, drehte sich dann aber nur um und schlug gegen die Mauer. »Lass mich einfach in Ruhe, okay?«
»Na gut.« Ich blieb stehen, und er wandte sich ab. Jetzt war er sauer auf mich; das hatte ich nicht gewollt. Aber ich wollte auch nicht, dass sein Großvater irgendjemandem Schaden zufügte, obwohl es wahrscheinlich sensiblere Wege gegeben hätte, ihm das mitzuteilen, die mir mit meinem durch die Geschehnisse am Morgen noch immer aufgewühlten Hirn nur nicht eingefallen waren. Seufzend ließ ich mich zu Boden gleiten. Olympio ging nicht weiter. Ich wartete so lange, wie ich für angemessen hielt, und dann noch ein Weilchen länger, nur um sicherzugehen, bevor ich ihn fragte: »Weißt du, was genau sich hinter Reina de la Noche verbirgt?«
Er sah mich noch immer nicht an. »Warum?«
»Ich habe heute Morgen gesehen, wie eine Frau, die Shirts mit deren Namen drauf verkauft hat, von den Drei Kreuzen drangsaliert wurde.«
Olympio zog geräuschvoll die Nase hoch, dann holte er tief Luft und spuckte den Rotz auf die Straße. »Das passt zu denen. Die haben Schiss.«
»Wer jetzt?«
»Die Drei Kreuze. Frauen zusammenschlagen, das ist mal wieder typisch.«
Endlich taute er wieder etwas auf – was aber auch am Thema liegen konnte. »Also,
Weitere Kostenlose Bücher