Diagnose zur Daemmerung
sagen, er solle endlich diese schlechte Angewohnheit aufgeben.
»Du … tust einfach das, was du tun musst«, sagte ich unbestimmt. Und ich würde weiter nach etwas suchen, das sie heilen konnte. So richtig heilen, vollständig und endgültig.
Sie ließ sich auf den Boden sinken, lehnte sich gegen die Wand und legte mir eine Hand aufs Knie. »Du musst gar nicht unbedingt ein Kind kriegen, Edie. Versprich mir einfach, dass du glücklich wirst«, verlangte sie. Ich nickte. Das konnte ich schaffen. »Und dass du versuchen wirst, auf Jake aufzupassen.«
Das hingegen war leichter gesagt als getan. Ich würde ihr nichts versprechen, was ich gar nicht einhalten wollte. Doch dann sah ich ihr Gesicht … was konnte ich da schon sagen? »Ich werde es versuchen.« Dasselbe hatte sie mir auch versprochen. Alles andere wäre mir im Hals stecken geblieben.
»Danke, Liebes.« Mom öffnete die Tür und zog sich an der Klinke hoch. Dann beugte sie sich vor, drückte mir mit ihrem nach Magensäure riechenden Atem einen Kuss auf die Wange und ging hinaus. Ich blieb allein zurück.
Nachdem ich ihr Gute Nacht gesagt und versprochen hatte, morgen wiederzukommen, stieg ich in meinen Wagen. Zuallererst durchsuchte ich meine Handtasche – die ich dummerweise unbeaufsichtigt in der Eingangshalle gelassen hatte, während ich mich um meine Mutter kümmerte –, um sicherzugehen, dass Bargeld und Führerschein noch da waren. Jawohl, waren sie. Vielleicht hatte der Krebs unserer Mutter selbst den großen und selbstsüchtigen Jake Demut und Bescheidenheit gelehrt. Oder, was wahrscheinlicher war, er hatte unserer Mom schon Geld aus den Rippen geleiert, bevor ich gekommen war, und sie war zu nachsichtig gewesen, um es ihm zu verweigern.
Ich fuhr nach Hause. Es war ein langer Tag gewesen. Da ich vorhin schon geduscht hatte, musste ich jetzt nur noch Zähne putzen und unter die Decke kriechen.
Trotzdem nahm ich eine Stilnox. Mein Körper war noch nicht auf Tagbetrieb umgestellt, und wenn man schon die Macht des Schlafes in eine kleine Tablette bannen konnte, sollte man sich das doch auch zunutze machen, oder nicht? Insbesondere, wenn man nicht wach liegen und grübeln will. Nichts von dem, worüber ich nachgrübeln konnte, war schön.
Ein dröhnendes Klopfen an der Tür weckte mich. Kurzer Blick aus dem Fenster – ja, es war noch Nacht, und sie neigte sich noch nicht einmal ihrem Ende zu. Die Straßenlaternen brannten, und es war keine Dämmerung in Sicht. Ich schloss die Augen. Da war nichts, vielleicht irgendein Nachbar, mehr nicht. Der Schlaf hatte mich kurzzeitig freigegeben, aber wenn ich still liegen blieb und wartete, würde er bestimmt zurückkommen.
Wieder ein Klopfen. Und noch eins. Eigentlich war es gar kein Klopfen, mehr ein Poltern. Ich griff nach meinem Handy: drei Uhr.
Durch die Stilnox war ich etwas benommen. Unter dem Einfluss von Schlafmitteln sahen die Leute oft seltsame Dinge oder fuhren gegen Laternenpfähle. Lag es an der Tablette, oder war das Geräusch echt?
Minnie, die am Fußende des Bettes geschlafen hatte, stand auf und blickte nervös in den Flur hinaus. Wieder polterte es. Sie sprang vom Bett und verschwand darunter. Damit war die Sache klar. Ich bildete mir das Geräusch also nicht ein.
So verstohlen wie möglich stand ich auf und ging zur Wohnungstür. Okay, als ich durch den Flur wankte, war ich wahrscheinlich nicht besonders leise. Mit Stilnox im Blut bewegt man sich wie auf einem schwankenden Boot. Die Wohnung hatte keine Fenster, die auf die Außentreppe blickten, also blieb nur der Türspion. Ich stützte mich rechts und links davon ab und beugte mich vor.
Die Außenbeleuchtung war an und schien auf etwas Graues herab, das sich halb im Schatten hielt. Durch die verzerrende Linse des Spions war kaum zu erkennen, worum es sich handelte; sie hob zwar einzelne Teile hervor, aber ich bekam keinen Blick auf die Gesamtgestalt. Vielleicht lag das aber auch daran, dass ich abrupt aus dem Schlaf gerissen worden war und das Schlafmittel meine Sicht beeinträchtigte. Ich konzentrierte mich.
Wieder knallte es, und ich wich hastig zurück. Verdammt. Ich hatte immer noch nichts gesehen. Und ich traute mich nicht, die Tür aufzumachen.
Ein angewidertes Zischen ertönte, eine Art lautes, empörtes Schnauben, wie man es sich bei einem T-Rex vorstellen würde. Dann kam noch ein letzter, wütender Knall, gefolgt von einem Tapsen auf der Treppe.
Jetzt war es mit dem Lärm wohl vorbei. Das letzte Poltern hatte
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