Diagnose zur Daemmerung
irgendwie genervt geklungen, als käme da nichts mehr. Aber wirklich wissen konnte ich es nicht. Ich wartete eine Weile, aber weder das Geräusch noch das seltsame Wesen kehrte zurück.
Als ich eine kurze Liste aller Kreaturen erstellte, die mich vielleicht aufspüren konnten, und sie mit dem abglich, was ich vor meiner Tür gesehen hatte, blieb eine Antwort übrig, die mir ganz und gar nicht gefiel.
Jorgen.
Verdammte Scheiße.
Auf dem Weg zurück ins Schlafzimmer nahm ich mein höchst dekoratives Silberkreuz von der Wand.
Kapitel 14
Für Jorgen wäre es ein Leichtes gewesen, mich zu finden, ganz egal, wo ich hinzog. Er kannte meinen Geruch. Und er war inzwischen der Spürhund eines Vampirs – Leute zu finden war also sein Job.
Jorgen war nicht immer ein Spürhund gewesen, ursprünglich war er ein rangniederer Werwolf, ein ehemaliger Mensch, der in einer Vollmondnacht gebissen worden war. Im vergangenen Winter war er an den Kämpfen um das Vampirblut beteiligt gewesen, die mir meine Ächtung eingebracht hatten, und Spürhund zu werden war seine Bestrafung. Er war kein freier Wolf mehr; er konnte nicht einmal mehr ein Mensch sein. In der Gestalt eines Spürhunds gefangen, war er nun der Sklave des besonders Furcht einflößenden Vampirs Dren.
Und wenn man es ganz genau nahm, war es meine Schuld, dass er jetzt ein Spürhund war. Immerhin hatte ich die Pläne seines Rudels durchkreuzt und sämtliche Vorräte an übernatürlichem Blut vernichtet. Ich wusste zwar nicht genau, warum er mich sehen wollte, aber keiner der Gründe, die mir einfielen, war besonders verlockend.
Jorgen gehörte zu meinem alten Leben, das ich wider jede Vernunft, aber umso verzweifelter zurückhaben wollte. Auf dem Weg zurück ins Schlafzimmer drückte ich das Kreuz an die Brust und spürte, wie die Kälte des Metalls durch mein Nachthemd drang.
»Gottverdammt.« Dabei war ich extra umgezogen, damit so etwas nicht mehr passierte. In diese Wohnung hatte ich wenigstens noch keinen einzigen Vampir eingeladen. Aber das Ganze war doch gar nicht so schlecht, oder? Wenn Jorgen sich nicht an meine Ächtung halten musste … was bedeutete das dann für mich? War sie aufgehoben? Hieß das, ich durfte wieder mit Vampiren und anderen übernatürlichen Wesen sprechen, und sie andersrum auch mit mir? Oder steckte ich in Schwierigkeiten, weil ich mich geweigert hatte, die Ächtung zu akzeptieren? War sein Besuch eine Strafe oder eine Warnung? Wenn Jorgen hier war, dann konnte Dren nicht weit sein, oder?
Unruhig wälzte ich mich bis zum Morgengrauen im Bett herum.
Um halb sieben klingelte mein Wecker, und ich stand ohne jede Begeisterung auf und schleppte mich unter die Dusche. Wenigstens war heute Freitag. Im hellen Tageslicht war es leicht, nicht mehr an Jorgen zu denken. Wäre ich nicht mit dem Kreuz im Arm und Minnie unter dem Bett aufgewacht, hätte ich die Sache vielleicht als Albtraum abgetan.
Als ich aus der Hochbahn stieg und zur Straße hinunterging, rechnete ich halb damit, Dr. Tovar zu sehen, der unten auf mich wartete; sozusagen als bockiger Anstandswauwau. Doch er war nicht da. Ich wartete eine Minute und stellte mich darauf ein, allein gehen zu müssen.
Der Shirt-Stand von gestern war noch immer weg, doch an seiner Stelle stand nun eine andere Bude, die Kleidung anbot. In der reglosen Luft hingen rosafarbene OP-Klamotten mit lila Säumen. Irgendwie kamen sie mir bekannt vor …
Schnell machte ich mich auf den Weg zur Klinik.
Die Fassade meines Arbeitsplatzes war mit Graffiti beschmiert, mit verschnörkelten, großen Buchstaben, die ich nicht entziffern konnte. Die Eingangstür stand offen. Als ich hineinging, fand ich mich in einem leeren Raum wieder.
»Hallo?« Ein zweiter Blick verriet mir, dass sämtliche Stühle aus dem Wartebereich verschwunden waren und an den Wänden riesige, bunte Kreuze prangten. Es stank nach frischer Farbe. »Ist alles in Ordnung?«
Verdammt, war außer mir überhaupt irgendjemand hier? Die Tür nach hinten war aufgebrochen worden. »Wir empfangen heute keine Patienten!«, schallte eine Stimme zu mir nach vorne. Wenig später erschien Dr. Tovar, nun endlich ohne Jackett. Stattdessen trug er zu seiner dunklen Hose ein einfaches, weißes T-Shirt. Seine Hände hatten sich zu wütenden Fäusten geballt, sodass an seinen Unterarmen die Muskeln hervortraten. Als er mich sah, entspannte er sich ein wenig. Ohne sein Jackett wirkte er erstaunlich menschlich, irgendwie angreifbarer.
»Was ist hier
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