Diagnose zur Daemmerung
passiert?«
»Letzte Nacht wurden wir ausgeraubt. Wir können noch von Glück reden, dass sie uns nicht die Bude abgefackelt haben.«
Plötzlich sah ich meinen gestrigen Impuls, dieser Verkäuferin zu helfen, in einem ganz anderen Licht. Mein Mund wurde staubtrocken. »Habe ich …«
»Nein. Dabei geht es nur um die und um mich.«
»Die Drei Kreuze?«, riet ich.
»Sie versuchen ja nicht einmal, es zu verbergen.« Er zeigte auf die beschmierten Wände. »Sie haben alle Stühle mitgenommen, dazu noch alles, was im Pausenraum herumlag. Haben alle Schränke aufgebrochen und einen der Untersuchungstische so aufgeschlitzt, dass es an eine Autopsie erinnert.«
»Soll ich die Polizei rufen?«
»Schon geschehen. Das muss ich allein wegen der Versicherung melden.«
Ich deutete nach draußen. »Auf dem Markt an der Haltestelle habe ich Catrinas Arbeitskleidung gesehen. Soll ich sie holen und herausfinden, wer sie verkauft?« Vielleicht wurden da ja auch Stühle angeboten.
»Nein, ich glaube nicht, dass Catrina sie zurückhaben möchte. Die haben unsere Sachen mitgenommen, um sie in den Müll zu werfen. Der Verkäufer hat sie wahrscheinlich einfach aus einem Container gezogen. Die Rezeptionisten und Pflegehelfer sind gerade unterwegs und suchen dort nach den Stühlen aus dem Wartebereich.«
»Igitt.« Am liebsten hätte ich mich hingesetzt, aber es war ja nichts da. Langsam drehte ich mich um die eigene Achse und musterte die Wände. Gegenüber von der Rezeption prangten nicht nur Kreuze an der Wand, darüber waren auch verschnörkelte Zahlen geschrieben worden. Mein Verstand brauchte einen Moment, bis er darin ein Datum erkannte: Siebzehnter Siebter. Genau die gleichen Ziffern hatte ich während meines Telefonbewerbungsgesprächs auf dem Computerbild gesehen, zusammen mit dem Wandgemälde. »Was hat dieses Datum zu bedeuten?«
Tovar lief rot an. »Gar nichts.«
Ich presste die Lippen zusammen. Auch wenn ich ihm ungern widersprach, so hatten die Einbrecher doch bestimmt nicht aus reinem Spaß an der Freude ein dickes, fettes Datum an die Wand geschmiert. Heute war Freitag, der elfte Juli. Der Siebzehnte war also am kommenden Donnerstag. Was würde dann geschehen?
Tovar tigerte auf und ab und antwortete schließlich auf meine unausgesprochene Frage: »Die wollen, dass ich den Zehnten zahle und mich ganz offiziell ihrer Sache anschließe – mich auf ihre Seite schlage.«
»Und welche Seite wäre das?« Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Dr. Tovar sich von irgendeinem Gangster unterdrücken ließ. »Wollen die, dass Sie in Zukunft nur noch ihren Leuten helfen? Oder gratis arbeiten?«
»Es ist etwas komplizierter.« Tovar blieb stehen und musterte mich nachdenklich. »Diesmal haben sie zumindest nicht alles niedergebrannt. Das war eine Warnung.«
»Und der Siebzehnte?«, hakte ich nach.
»Eine Botschaft an mich persönlich.« Er ging zu den Zahlen an der Wand und legte eine Hand darauf. Dann rieb er mit dem Finger darüber, sodass die frische Farbe verschmierte. Mit einem tiefen Seufzer wischte er sich die Hand an der Hose ab.
»Aber warum ausgerechnet Sie?« Ich hatte da schon eine Idee. Vielleicht wollten Sie ihn zwingen, kein Blut mehr an die Vampire weiterzugeben. »Die Kreuze und das Blut …«, setzte ich vorsichtig an. Letzte Nacht hatte ich Jorgen gesehen; ich war mir absolut sicher, dass Vampire mit im Spiel waren.
Statt mich ausreden zu lassen, stöhnte er: »Hören Sie auf.«
Tovar sah so erschöpft und wütend aus – erschöpft davon, wütend zu sein –, dass ich gar nicht anders konnte. Jetzt war ich diejenige, die ihn bemitleidete. Langsam wanderte ich durch den Raum. Die beiden Kreuze an den Seiten waren bunt und stark verziert, zum Teil keltisch, zum Teil orthodox, aber beide verschnörkelt und in leuchtenden Farben gehalten. Das in der Mitte war vollkommen schmucklos und nur grau. Kurz fragte ich mich, ob ihnen einfach keine Zeit geblieben war, um es zu vollenden, aber die Linien waren sauber gezogen und die Kanten sorgsam schattiert. Vielleicht war seine Schlichtheit beabsichtigt, um durch den Kontrast die beiden anderen stärker hervorzuheben?
Ich wollte die Frage gerade laut stellen, als Dr. Tovar mir zuvorkam. »Bitte gehen Sie.« Er verscheuchte mich aus dem Wartebereich und verschwand dann wieder in Richtung Behandlungsräume.
Da ich nicht wusste, wo ich hinsollte, setzte ich mich erst mal auf die Stufen vor dem Eingang. Ging ich zu weit weg, würde ich mich nur verlaufen, ich hatte
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