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Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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ist, warum hat sie die Randalierer letzte Nacht dann nicht aufgehalten?«
    »Vielleicht war ihr nicht bewusst, dass sie Ihre Gunst genießt«, erklärte der Mann in versöhnlichem Tonfall. Doch echte Reue zeigte er nicht. Er blickte sich so stolz um wie ein Vater, der die Kritzeleien seines Kindes betrachtet. »Sie haben noch immer nicht den Zehnten gezahlt. Und der Siebzehnte ist nicht mehr fern. Wir können unsere neue Kirche nur fertigstellen, wenn jeder Einzelne in der Gemeinschaft seinen Beitrag leistet. Wie soll sie denn wissen, dass wir sie lieben, wenn unsere neue Kirche nicht prachtvoll wird?«
    »Wir wissen doch beide, dass die Kirche nichts mit der Sache zu tun hat.«
    In diesem Moment kam Eduardo herein, er hatte wieder einen der Stühle befreit. Der Mann mit dem Anhänger, der wohl einerseits der Anführer der Drei Kreuze, andererseits aber auch eine Art Santa-Muerte-Priester war, lächelte, als er sah, wie Eduardo das Möbelstück ungeschickt hinter sich herzerrte.
    »Wie sagte bereits Jesus so treffend? Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.« Sein Lächeln wurde breiter und enthüllte Zähne, die ebenso golden waren wie sein Halsschmuck.
    Ich stieß einen empörten Seufzer aus und ließ energisch den Pinsel über die Wand gleiten. Am liebsten hätte ich ihm die weiße Farbe auf seine schwarzen Klamotten gespritzt, doch der Weg von der Haltestelle hierher war zu lang, als dass ich ihre Art der Vergeltung in Kauf nehmen durfte. Aber ich hatte schon erfolgreich gegen Vampire gekämpft; meine Narben bewiesen das. Das Böse gewinnt, wenn das Gute sich zurückzieht – und ich hatte es satt, mich zurückzuziehen.
    Mit einem lauten Knall ließ ich den Pinsel fallen. »Sind Sie stolz auf sich? Auf das, was Sie hier angerichtet haben?«
    »Ich?« Der Pastor drehte sich um und tat so, als würde er mich erst jetzt bemerken. »Ich habe gar nichts getan.«
    »Wie viele Menschen, die eigentlich medizinische Hilfe bräuchten, werden sie heute nicht bekommen – Ihretwegen? Kinder, die geimpft werden müssten und deren Mütter sich extra freigenommen haben, um sie herzubringen; werden Sie ihnen den Verdienstausfall erstatten?« Ich war so wütend, dass ich kaum noch Luft bekam. »Die Leute hier haben es auch ohne solche Zwischenfälle schon schwer genug.«
    Der Mann grinste verschlagen und sah über meine Schulter hinweg zu Dr. Tovar. »Und doch könnten sie es noch viel schwerer haben.«
    Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin zogen sich seine Begleiter zurück, und er folgte ihnen nach draußen.
    Dr. Tovar, der nun hinter mir stand, sagte: »Das war dumm von Ihnen.«
    Ich atmete immer noch schwer. »Ich weiß.« Verlegen drehte ich mich zu ihm um. »Manchmal kann ich einfach nicht anders.«
    Er wirkte belustigt. »Vielleicht sollten Sie immer jemanden bei sich haben, der Sie notfalls bremst.« Mit einem tiefen Seufzer schüttelte er den Kopf, aber ein warmes, offenes Lächeln glitt über sein Gesicht. Mit dieser Miene, dem T-Shirt und den Farbspritzern auf der Hose sah er endlich so alt aus, wie er tatsächlich war. Zu jung, um sich ein Leben lang mit diesen Problemen herumzuschlagen.
    »Ich begreife nicht, warum Sie sich das gefallen lassen. Also, natürlich verstehe ich es, aber das ist doch einfach nur scheiße.« Sein Lächeln wurde traurig, und ich fragte mich, ob ich ihn irgendwie verletzt hatte. Falls ja, tat es mir leid. Das hier war schließlich nicht seine Schuld. Ich holte tief Luft und versuchte, mich irgendwie aus der Affäre zu ziehen: »Bitte entschuldigen Sie, Dr. Tovar. Ich widme mich dann mal wieder meiner Wand, damit sie fertig wird.«
    Wieder schüttelte er den Kopf. »Nenn mich Hector. Außer vor Patienten sollten wir uns duzen, finde ich.«
    Ich hob meinen Pinsel vom Boden auf und versuchte, mein Lächeln zu unterdrücken. »Gerne.«
    Wir beide arbeiteten weiter, während die Pflegehelfer noch immer Stühle heranschleppten. Nachdem sich herumgesprochen hatte, was in der Klinik passiert war, brachten auch ein paar Leute aus dem Viertel welche vorbei. Am Ende des Tages fehlten uns nur noch fünf.
    Hector und ich waren voller Farbe; meine Arbeitskleidung war ruiniert. Zum Glück waren OP-Klamotten ziemlich preiswert. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich einen Satz von den Grünen anhatte, die ich auf Y4 gemopst hatte. Es kam mir vor, als wäre das schon eine Ewigkeit her.
    Um fünf Uhr nötigte Hector uns alle, nach Hause zu gehen. »Wer morgen wiederkommen will, kann das gerne tun.«
    Einige Leute

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