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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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des Japaners ein Nervenzentrum getroffen.
    »Der Teufel soll dich …!« rief Fandorin. Er holte mit der Linken aus zu einem Schwinger, der den dreisten Alten gegen die Wand schleudern mußte, doch nachdem die Faust einen großen Bogen beschrieben hatte, hieb sie ins Leere. Außerdem drehte sich Fandorin durch den Schwung um die eigene Achse, so daß er dem Japaner nun den Rücken zukehrte.
    Das nutzte der hinterhältige Alte sofort aus – er stieß Fandorin einen Ellbogen gegen den Hals, wieder nur leicht, doch dem jungen Mann knickten die Knie ein. Er fiel auf den Rücken und spürte entsetzt, daß er kein einziges Glied rühren konnte.
    Wie in einem Alptraum!
    Am schlimmsten war der harte, glühende Blick des Alten, der direkt ins Gehirn des Vizekonsuls zu dringen schien.
    Der schreckliche Alte verbeugte sich, und dann geschah das Unglaublichste.
    Endlich zog er die Hände aus den Ärmeln.
    In seiner Rechten wand sich eine graubraune Schlange mit feuchtglänzenden Äuglein und weit aufgerissenem Rachen.
    Der am Boden liegende Fandorin ächzte – zu mehr reichte seine Kraft nicht.
    Die Schlange glitt geschmeidig aus dem Ärmel und fiel federnd auf Fandorins Brust. Am offenen Kragen spürte er ihre kalte, rauhe Berührung.
    Nur wenige Zoll von seinem Gesicht entfernt schaukelte ihr rhombenförmiger Kopf. Fandorin vernahm ihr leises, abgehacktes Zischen, sah ihre spitzen Zähne, ihre gespaltene Zunge, konnte sich aber keine Haaresbreite wegbewegen. Eiskalter Schweiß rann ihm über die Stirn.
    Ein seltsames Schnalzen ertönte. Es kam von dem Alten – als wolle er das Reptil zur Eile antreiben.
    Der Rachen stieß auf Fandorins Kehle zu; der kniff rasch die Augen zusammen und dachte noch, daß es wohl nichts Schlimmeres gab als dieses Grauen. Selbst der Tod würde eine selige Erlösung sein.
    Eine Sekunde verging, eine zweite, eine dritte.
    Fandorin öffnete die Augen – und sah die Schlange nicht mehr. Aber sie war da, er spürte ihre Bewegungen.
    Offenbar machte sie es sich auf seiner Brust gemütlich – sie hatte sich zusammengerollt, ihr Schwanz war unter sein Hemd gedrungen und fuhr ihm kitzelnd über die Rippen.
    Mit einiger Anstrengung fokussierte Fandorin seinen Blick auf den Alten – der schaute noch immer auf den Gelähmten, doch seine Kohleaugen hatten sich verändert. Fandorin glaubte darin Erstaunen zu lesen. Oder Neugier?
    »Erast Petrowitsch!« rief jemand von weitem. »Fandorin! Kann ich reinkommen?«
    Das weitere dauerte keine Sekunde.
    Mit zwei Sätzen war der alte Japaner am Fenster, sprang hoch, vollführte in der Luft eine Drehung, stützte sich im Flug mit einer Hand am Fensterbrett ab und verschwand.
    Im selben Moment stand Doronin auf der Schwelle – mit Panamahut und Spazierstock, bereit zum geplanten Ausflug.
    Durch Fandorins Hals liefen stechende Schauer, und er stellte fest, daß er den Kopf wieder bewegen konnte.
    Er drehte ihn zur Seite, konnte den Alten aber nicht mehr sehen – nur der Vorhang schaukelte.
    »Was ist denn das? Eine Viper!« rief Doronin. »Nicht bewegen!«
    Die Schlange huschte erschrocken von Fandorins Brust in eine Zimmerecke.
    Der Konsul rannte ihr nach und hieb mit dem Spazierstock aufden Boden, so heftig, daß er beim dritten Schlag in der Mitte zerbrach.
    Titularrat Fandorin riß seinen Kopf vom Boden – die Lähmung ließ allmählich nach.
    »Schlafe ich?« stammelte er; seine Zunge gehorchte ihm kaum. »Ich habe v-von einer Schlange geträumt …«
    »Das war kein Traum.« Doronin wickelte sich ein Taschentuch um die Hand und hob das tote Reptil angewidert am Schwanz hoch.
    Er betrachtete es, die Brille auf die Nasenspitze geschoben, trug es zum Fenster und warf es hinaus. Tadelnd sah er zu dem schnarchenden Masa und seufzte.
    Dann griff er nach einem Stuhl, setzte sich vor seinen Stellvertreter, der sich träge am Boden wälzte, und maß ihn mit einem schweren Blick.
    »Also, mein Lieber«, begann er streng. »Reden wir ganz offen, ohne Umschweife. Gestern hat er sich noch als purer Engel ausgegeben! Geht nicht ins Bordell, hat noch nie von Opiumsucht gehört …« Doronin schnupperte. »Nach Opium riecht es nicht. Dann bevorzugen Sie wohl Injektionen? Wissen Sie, wie das heißt, was Ihnen widerfahren ist? Narkotische Ohnmacht. Schütteln Sie nicht den Kopf, ich bin schließlich nicht von gestern! Shirota hat mir von Ihren gestrigen Heldentaten in der Spelunke erzählt. Einen schönen Diener haben Sie da aufgelesen! Hat er Ihnen das Rauschgift besorgt?

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