Diamantene Kutsche
Gesicht und sagte in fragendem Ton: »Me? Kuchi?«
Schließlich ließ er von dem vollkommen ratlosen Masa ab, seufzte, raufte sich die Haare und setzte sich.
Danach wurde es noch sonderbarer.
Der Herr bedeutete Masa, er solle sich vor ihn hinstellen, hielt die geballten Fäuste vor sich und forderte Masa mit Gesten auf: Komm, tritt mich mit dem Fuß.
Masa sträubte sich entsetzt – wie konnte man seinen Onjin schlagen! Doch dann erinnerte er sich an eine interessante Einzelheit ausdem Intimleben der Gaijin, von der ihm seine ehemalige Freundin erzählt hatte. Sie hatte den Missionar und seine Frau im Schlafzimmer beobachtet und gesehen, wie die Herrin, bekleidet nur mit einem Leibchen und Reitstiefeln, den Sensei mit einer Peitsche auf den nackten o-shiri schlug und er immer mehr verlangte.
Also ist das bei den Gaijin wohl üblich, dachte Masa. Er verbeugte sich respektvoll und trat seinem Herrn nicht sehr heftig gegen die Brust, zwischen die hilflos vorgereckten Fäuste.
Der Herr fiel auf den Rücken, sprang aber gleich wieder auf. Es hatte ihm offenkundig gefallen, und er wollte noch einmal.
Diesmal spannte er alle seine Muskeln an und verfolgte jede Bewegung von Masa, darum gelang der Tritt nicht auf Anhieb. Das Geheimnis des Jiu-Jitsu, der »Kunst des weichen Kampfes«, besteht darin, auf die Atmung des Gegners zu achten. Bekanntlich kommt die Kraft mit dem Einatmen und verläßt den Körper beim Ausatmen; Einatmen und Ausatmen sind ein Wechsel von Stärke und Schwäche, Fülle und Leere. Darum wartete Masa, bis sein Einatmen mit dem Ausatmen des Herrn zusammentraf, und wiederholte seinen Angriff.
Der Herr fiel erneut hin und war auch jetzt sehr zufrieden. Die Gaijin waren eben doch anders als normale Menschen!
Nachdem der Herr bekommen hatte, was er wollte, zog er eine schmucke Uniform an und ging in den zentralen Teil des Hauses. Dem russischen Kaiser dienen. Masa räumte ein wenig auf und stellte sich ans Fenster, von wo aus man den Garten und den gegenüberliegenden Flügel sah, wo der Konsul wohnte (wie konnten seine Diener nur bei einem Mann mit einem derartig beschämenden Namen arbeiten?)
Bereits am Morgen war Masa das Dienstmädchen des Konsuls aufgefallen, das Natsuko hieß. Sein Gefühl sagte ihm, daß es Sinn hatte, ihr ein wenig Zeit zu widmen – daraus könnte etwas werden.
Das Mädchen putzte, ging dabei von Zimmer zu Zimmer und schaute nicht aus dem Fenster.
Masa öffnete das Fenster weiter, stellte einen Spiegel aufs Fensterbrett und tat, als rasierte er sich – wie vorhin sein Herr. Masa hatte runde und bemerkenswert glatte Wangen, auf denen, Buddha sei Dank, kein Bart wuchs, aber warum sollte er sich nicht mit dem duftenden Schaum einseifen?
Masa hantierte bedächtig mit dem Pinsel und bewegte dabei ein wenig den Spiegel, um einen Sonnenstrahl zu Natsuko zu schicken.
Er mußte sich kurz unterbrechen, denn Shirota-san und die gelbhaarige Tochter des toten Kapitäns kamen in den Garten. Sie setzten sich auf eine Bank unter einem jungen Gingkobaum, und der Herr Dolmetscher las ihr etwas aus einem Buch vor und schwang dabei den Arm. Hin und wieder sah er das Mädchen an, sie aber saß mit gesenktem Blick da und schaute ihn überhaupt nicht an. Ach, so ein gebildeter Mann, aber wie man mit Frauen umgeht, davon versteht er nichts, bedauerte Masa Shirota-san. Er sollte sich von ihr wegdrehen und nur hin und wieder achtlos ein paar Worte fallenlassen. Dann würde sie nicht die Nase abwenden, dann wäre sie beunruhigt – bin ich vielleicht nicht hübsch genug?
Nach einer Viertelstunde gingen sie wieder. Das Buch blieb auf der Bank liegen, mit dem Umschlag zuoberst. Masa stellte sich auf Zehenspitzen und sah darauf einen Gaijin mit gelockten Haaren, auch auf seinen Wangen wuchsen lockige Haare, genau wie bei dem Orang-Utan, den Masa letzte Woche im Asakusa-Park gesehen hatte. Dort wurde eine Menge Interessantes gezeigt: Ein Meister im Fahrenlassen von Winden, eine Frau, die mit dem Nabel rauchte, und ein Spinnenmensch mit dem Kopf eines Greises und dem Körper eines fünfjährigen Kindes.
Masa griff erneut zum Spiegel, drehte ihn noch eine halbe Stunde hin und her und erreichte schließlich, was er wollte. Natsuko interessierte sich endlich dafür, warum ihr ständig die Sonne in dieAugen schien. Sie schaute sich um, sah aus dem Fenster und entdeckte den Diener des Herrn Vizekonsul. Da hatte Masa den Spiegel natürlich wieder aufs Fensterbrett gelegt und fuchtelte, die Augen wild
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