Diamantene Kutsche
erzählen, damit Sie verstehen, wie die kleinen Shinobi erzogen wurden.
Ein berühmter Ninja hatte mächtige Feinde, die töteten ihn und hackten ihm den Kopf ab, doch sie waren nicht ganz sicher, ob er wirklich derjenige war, für den sie ihn hielten. Sie zeigten ihre Trophäe dem achtjährigen Sohn des Getöteten und fragten: ›Erkennstdu ihn?‹ Der Junge vergoß keine Träne, denn das hätte das Andenken des Vaters besudelt, doch sein Gesicht war auch so Antwort genug. Der kleine Ninja bestattete den Kopf in allen Ehren, und weil er den Verlust nicht ertragen konnte, schlitzte er sich gleich darauf den Bauch auf und starb ohne ein einziges Stöhnen, wie ein echter Held. Die Feinde zogen beruhigt von dannen, dabei hatten sie dem Jungen den Kopf eines vollkommen Fremden gezeigt, den sie irrtümlich getötet hatten.«
»Was für eine Disziplin! Was für ein Heldenmut!« rief Fandorin erschüttert. »Was ist dagegen der kleine Spartaner mit seinem Fuchs 1 !«
Der Doktor lächelte zufrieden.
»Die Geschichte gefällt Ihnen, ja? Dann erzähle ich Ihnen noch eine. Sie handelt auch von Selbstaufopferung, aber von ganz anderer Art. Dieses Sujet wäre kaum etwas für europäische Romanciers wie Walter Scott oder Monsieur Dumas. Wissen Sie, wie Fürst Uesugi starb, der große Feldherr des sechzehnten Jahrhunderts? Hören Sie zu.
Uesugi wußte, daß man ihn töten wollte, und traf Sicherheitsvorkehrungen, damit kein Mörder sich ihm nähern konnte. Trotzdem übernahmen die Ninja den Auftrag. Sie übertrugen ihn einem Liliputaner – die Liliputaner-Ninja galten als besonders wertvoll, sie wurden sogar eigens gezüchtet – man steckte sie in spezielle Tongefäße und unterdrückte so ihr Wachstum. Der Mann hieß Jinnai und war keine drei Fuß groß. Er war von Kindheit an darauf trainiert, auf engem, knappem Raum zu agieren.
Der Mörder drang durch einen Spalt ins Schloß ein, durch den höchstens eine Katze paßte, doch in die Gemächer des Fürsten hätte nicht einmal eine Maus schlüpfen können, deshalb mußteJinnai sehr lange warten. Wissen Sie, welchen Ort er dafür auswählte? Den, welchen der Feldherr früher oder später einmal aufsuchen mußte. Als der Fürst nicht in der Festung weilte und die Wachen weniger scharf aufpaßten, drang Jinnai in die erlauchte Latrine ein, sprang in die Grube und versteckte sich bis zum Hals in der stinkenden Jauche. So verbrachte er mehrere Tage, bis sein Opfer heimkehrte. Schließlich ging Uesugi auf den Abort, wie immer begleitet von Leibwächtern. Sie gingen vor, hinter und neben ihm, schauten in die Latrine, sogar in die Grube, aber Jinnai war untergetaucht. Dann steckte er aus Bambusröhrchen einen Speer zusammen und rammte ihn dem großen Mann direkt in den Anus. Uesugi stieß einen gellenden Schrei aus und starb. Die herbeieilenden Samurai konnten nicht begreifen, was ihm zugestoßen war. Das Erstaunlichste aber – der Liliputaner überlebte. Solange oben alles in Aufruhr war, saß er zusammengekrümmt in der Grube und atmete durch ein Röhrchen, am nächsten Tag aber kletterte er heraus und meldete dem Jonin, daß der Auftrag erledigt sei.«
»Wem?«
»Der Jonin war der General des Clans, der Stratege. Er nahm die Aufträge entgegen und entschied, welcher der Chunin, der Offiziere, die Operation plante. Ausgeführt wurden die Morde und Spionageakte dann von den Genin, den Soldaten. Jeder Genin strebte nach Vollkommenheit auf einem besonderen Gebiet, auf dem ihm niemand das Wasser reichen konnte. Zum Beispiel im Shinobi-aruki, dem lautlosen Laufen, oder im Intonjutsu, der Fortbewegung ohne Geräusche und ohne Schatten, oder im Fukumi-bari, dem Giftspucken.«
»Was?« Lockstone war verblüfft. »Worin?«
»Der Ninja nahm ein hohles Bambusröhrchen in den Mund, in dem mehrere mit Gift getränkte Nadeln steckten. Der Meister des Fukumi-bari spuckte sie hintereinander über eine große Entfernung, etwa zehn, fünfzehn Schritt. Besonders hoch geschätzt warbei den Shinobi die Kunst, sein Äußeres zu verändern. Von dem berühmten Yaemon wird berichtet, wenn er durch eine Menschenmenge lief, dann beschrieben die Augenzeugen anschließend sechs verschiedene Personen. Die Shinobi waren überhaupt bestrebt, Fremden nie ihr wahres Gesicht zu zeigen – das war nur für die eigenen Clanbrüder bestimmt. Um ihr Äußeres zu verändern, konnten sie Falten auflegen oder beseitigen, ihren Gang verändern, die Form von Mund und Nase, sogar ihre Größe. Geriet ein Ninja in eine
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