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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Doktors. »Er hat es sich wirklich abgeschnitten, das ist nicht bildhaft gemeint!«
    Am gelassensten blieb Lockstone. Er beugte sich über den Leichnam, der Gott sei Dank auf dem Bauch lag. Zwei Löcher im Kimono, eins weiter oben, eins ein Stück tiefer, schimmerten metallisch. Der Sergeant riß den Stoff auf und stieß einen Pfiff aus.
    »Von wegen Zauberei!«
    Unter dem Kimono trug der Tote einen Panzer aus dünnem gehärtetem Stahl.
    Während Lockstone dem Doktor erzählte, was auf dem Reviergeschehen war, stand Fandorin ein Stück abseits und bemühte sich vergebens, sein wildes Herzklopfen zu bändigen.
    Es kam nicht vom Laufen, nicht von der Schießerei, ja, nicht einmal von dem grausigen Anblick des abgeschnittenen Gesichts. Nein, er mußte daran denken, was eine heisere Frauenstimme vor wenigen Minuten zu ihm gesagt hatte: »Sie werden heute einen Menschen töten.«
    »Wie es aussieht, hatte Mister Fandorin recht.« Der Doktor breitete die Hände aus. »Das ist tatsächlich ein Ninja, ein waschechter Ninja. Ich weiß nicht, wie und wo er die Geheimnisse des Handwerks erlernt hat, aber es gibt keinen Zweifel. Der stählerne Brustpanzer, der ihn vor den beiden Kugeln geschützt hat, wird in allen Schriften erwähnt, er heißt Ninja-muneate. Das Feuer-Ei heißt Torinoko, das ist eine hohle Eierschale, in die die Shinobi ein brennbares Gemisch füllten. Und haben Sie gesehen, wie er vor dem Tod die Zähne gebleckt hat? In den Büchern über die Ninja gibt es einen seltsamen Begriff – das Letzte Lächeln, aber dort wird nicht erklärt, was das ist. Tja, kein sehr appetitlicher Anblick!«
     
    Oh, wie gern will man
    Von ganzem Herzen lächeln,
    Wenigstens zum Schluß.

Vorzeitiger Pflaumenregen
    Doronin stand am Fenster und sah zu, wie Sturzbäche die Fensterscheiben herunterrannen.
    »Der Bayu, der ›Pflaumenregen‹«, sagte er zerstreut. »Ein bißchen früh, gewöhnlich setzt er erst Ende Mai ein.«
    Fandorin ignorierte die Bemerkung über Naturerscheinungen, und sie schwiegen wieder.
    Doronin dachte über den Bericht seines Stellvertreters nach. Der seinerseits wartete, er wollte den Denkprozeß nicht stören.
    »Also« – der Konsul drehte sich endlich um –, »bevor ich mich hinsetze und einen Rapport für Seine Exzellenz schreibe, lassen Sie uns die Fakten noch einmal der Reihe nach durchgehen. Ich fange an, und Sie sagen bei jedem Punkt, ob das so Fakt ist oder nicht. Gut?«
    »Gut.«
    »Ausgezeichnet. Fangen wir an. Es war einmal ein gewisses Subjekt mit beinahe magischen Fähigkeiten. Nennen wir ihn den Gesichtslosen.« (Fandorin zuckte zusammen, er dachte an das »Letzte Lächeln« des Selbstmörders.) »Mit Hilfe seiner unbegreiflichen Kunst hat der Gesichtslose Kapitän Blagolepow getötet – und zwar so geschickt, daß dies ohne einen äußerst pedantischen Vizekonsul nie herausgekommen wäre. Fakt?«
    »V-vermutung.«
    »Die ich dennoch zu den Fakten zählen würde – angesichts der nachfolgenden Ereignisse. Nämlich: den Versuch, Ihren Masa zu töten – einen Zeugen des Mordes. Ein Versuch, der mit nicht weniger exotischen Mitteln erfolgte als der Mord am Kapitän. Wie sagt man bei der Polizei: Die Handschrift des Täters ist identisch. Fakt.«
    »Anzunehmen.«
    »Der Versuch, Masa zu töten, schlug fehl – wieder wegen des verfluchten Vizekonsuls. Auf diese Weise gibt es nun einen zweiten Zeugen.«
    »Warum hat er mich nicht getötet? Ich war v-vollkommen hilflos. Selbst wenn die Schlange mich nicht gebissen hat, hätte er doch bestimmt tausend andere Mittel gehabt.«
    Doronin legte bescheiden die Hand auf die Brust.
    »Mein Freund, Sie vergessen, daß in diesem Augenblick Ihr ergebener Diener auf der Bildfläche erschien. Den Konsul einer Großmacht zu töten wäre ein handfester internationaler Skandal.Das hat es seit Gribojedows Zeiten nicht gegeben. Damals schenkte der Schah von Persien dem Zaren als Zeichen der Reue den wertvollsten Diamanten aus seiner Krone, ein Stück von neunzig Karat. Was meinen Sie«, fragte Doronin lebhaft, »auf wieviel Karat hätte man mich wohl geschätzt? Ich bin natürlich kein Gesandter, sondern nur Konsul, aber dafür habe ich mehr diplomatische Erfahrung als Gribojedow. Außerdem sind Edelsteine heutzutage billiger … Na schön, Scherz beiseite. Fakt ist jedenfalls, daß der Gesichtslose mich nicht töten wollte oder es nicht wagte. Sie hatten ja bereits Gelegenheit, sich davon zu überzeugen, daß in Japan selbst die Räuber Patrioten

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