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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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haben, stecken wir in einer Sackgasse«, sagte Fandorin besorgt. »Und die Fingerabdrücke sind auch weg.«
    Der Amerikaner zuckte die Achseln.
    »Was wollen Sie noch damit, wenn er derjenige ist, der sie hinterlassen hat. Ich hab auf den Rücken gezielt. Vielleicht lebt er ja noch?«
    Diese Vermutung bestätigte sich sogleich, und zwar auf ganz überraschende Weise.
    Der am Boden Liegende sprang plötzlich auf, als wäre nichts geschehen, und rannte so schnell wie zuvor am Kanal entlang.
    Die Zuschauer schrien auf, Lockstone machte große Augen.
    »Verdammt! Mann, ist der zäh!«
    Er hob erneut den Karabiner, aber dies war keine neumodische Winchester, sondern eine italienische Vetterli mit nur einem Schuß. Fluchend schleuderte der Sergeant dem Constable die nutzlose Waffe vor die Füße und zog seinen Colt.
    »Lassen Sie mich, lassen Sie mich!« sagte der Doktor lebhaft. »Sie treffen ihn nicht!«
    Beinahe mit Gewalt entriß er Lockstone den Revolver, nahm eine malerische Duellpose ein und schloß ein Auge. Ein Schuß krachte.
    Der Flüchtige fiel erneut, diesmal auf den Bauch.
    In der Menge wurde applaudiert. Lockstone kratzte sich das Kinn, sein Untergebener lud den Karabiner nach. Nur Fandorin rannte los.
    »Sie müssen sich nicht beeilen«, sagte Twiggs und erklärte kaltblütig: »Jetzt rennt er nicht mehr weg. Ich habe ihm die Wirbelsäule im Lendenbereich zerschmettert. Das ist natürlich grausam, aber wenn er tatsächlich ein Schüler dieser Shinobi ist, gibt es nureine Möglichkeit, ihn lebend zu fangen – indem man ihn lähmt. Hier, Ihr Colt, Walter. Und danken Sie dem Schicksal, daß ich jeden Tag um diese Zeit im ›Parisienne‹ Tee trinke. Sonst hätten Sie niemals …«
    »Sehen Sie nur!« rief Fandorin.
    Der Gestürzte erhob sich auf alle viere, stand auf, schüttelte sich wie ein nasser Hund und jagte in großen Sprüngen weiter.
    Nun schrie und stöhnte niemand mehr – alle schwiegen verwirrt.
    Lockstone feuerte aus seinem Revolver, traf aber nicht, zumal der Doktor seine Hand packte und ihm die Waffe entreißen wollte. Den zweiten Revolver am Gürtel des Sergeants hatten beide vergessen.
    Fandorin schätzte die Entfernung (rund siebzig Schritt, und bis zu den grauen Hütten der Stadt höchstens hundert) und drehte sich zum Constable um.
    »Haben Sie geladen? Geben Sie her.«
    Er zielte nach allen Regeln der Kunst. Hielt die Luft an, visierte das Ziel genau an, fast waagerecht. Er hatte nur eine Kugel, er durfte nicht danebenschießen.
    Die Beine des verzauberten Läufers routierten rasend schnell. Maximal in Kniehöhe, sonst könnte er getötet werden, befahl Fandorin der Kugel und drückte den Abzug.
    Ja! Die Gestalt im Kimono stürzte zum drittenmal. Doch nun blieben die Verfolger nicht stehen, sondern stürmten vorwärts.
    Der Angeschossene regte sich, versuchte aufzustehen. Nun stand er auf einem Bein, konnte sich aber nicht halten und fiel um. Er kroch zum Wasser, wobei er eine Blutspur hinterließ.
    Erstaunlicherweise hatte er sich noch immer kein einziges Mal umgedreht.
    Als die Verfolger nur noch etwa zwanzig Schritt von ihm entfernt waren, hörte er auf zu kriechen – er hatte offenbar begriffen, daß er nicht entkommen würde. Er machte eine schnelle Bewegung, und eine schmale Klinge blitzte in der Sonne auf.
    »Schnell! Gleich schlitzt er sich die Kehle auf!« rief der Doktor.
    Doch der Shinobi tat etwas anderes. Er beschrieb mit dem Messer einen raschen Kreis um sein Gesicht, als wolle er es in einen Rahmen einpassen. Dann griff er sich mit der Linken ans Kinn, riß mit dumpfem Knurren daran – und ein Lappen flog Fandorin vor die Füße. Er wäre beinahe gestolpert, als er begriff, was das war: die abgetrennte Gesichtshaut, auf der einen Seite rot, auf der anderen wie Mandarinenschale.
    Nun endlich drehte sich der schreckliche Mann um.
    Fandorin hatte in seinem kurzen Leben schon allerhand Schlimmes gesehen, manches davon ließ ihn noch heute nachts schweißgebadet erwachen, doch nichts auf der Welt konnte grausiger sein als diese blutrote Maske mit den weißen Augen und den gebleckten Zähnen.
    »Kongojo!« krächzte der lippenlose Mund leise, aber deutlich, und wurde breiter und breiter.
    Die Hand mit dem blutigen Messer hob sich langsam zur Kehle.
    Jetzt erst kam Fandorin auf die Idee, die Augen zuzukneifen. So blieb er stehen, bis der Anfall von Schwindel und Übelkeit vorbei war.
    »Das heißt also ›sich das Gesicht abschneiden‹!« ertönte die erregte Stimme des

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