Diamantene Kutsche
»Heiligen Pafnuti« aus ihrem Album abzuschreiben. Fandorin steckte das Blatt in das erstbeste Buch und vergaß es sofort.
Und nun stellte sich heraus, daß sich hier ein ernsthaftes seelisches Drama abspielte!
»Wenn Sie Mademoiselle Blagolepowa lieben, wenn Sie aufrichtige Absichten haben, dann trete ich beiseite. Ich verstehe ja: Sie sind ihr Landsmann, Sie sind schön und reich, was kann ich ihr dagegen bieten?« Shirota war schrecklich aufgeregt, sprach schwierige Wörter besonders sorgfältig aus und sah Fandorin nicht in die Augen; er hatte den Kopf auf die Brust gesenkt. »Aber wenn …« Seine Stimme zitterte. »Aber wenn Sie be-ab-sich-ti-gen, die Schutz-lo-sig-keit eines einsamen Mädchens auszunutzen … Wollen Sie das?«
»Ob ich was will?« Fandorin, dem das Deduzieren wesentlich leichter fiel als intime Gespräche, konnte dem Gespräch nicht folgen.
»Die Schutz-lo-sig-keit eines einsamen Mädchens ausnutzen?«
»Nein, das will ich nicht.«
»Ganz und gar nicht? Aber ehrlich!«
Fandorin überlegte, damit es ehrlich aussah. Er dachte an den dicken Zopf von Mademoiselle Blagolepowa, ihre Kuhaugen und den Albumvers.
»Ganz und gar nicht.«
»Das heißt, Sie haben auf-rich-tige Absichten?« fragte der arme Schreiber noch finsterer. »Sie werden Sofja Diogenowna einen Heiratsantrag machen?«
»Aber wieso denn!« Fandorin wurde ärgerlich. »Ich habe mit ihr nichts im Sinn!«
Shirota hob kurz den Kopf, seine Miene hatte sich aufgehellt, doch sogleich kniff er mißtrauisch die Augen zusammen.
»Sie sind ins ›Rakuen‹ gegangen und haben dort Ihr Leben riskiert und zahlen ihr nun aus Ihrer eigenen Tasche ein Gehalt, und das alles nicht deshalb, weil Sie sie lieben?«
Plötzlich tat er Fandorin leid.
»Das hatte ich nie im Sinn«, sagte er sanft. »Das versichere ich Ihnen. Ich finde an Mademoiselle Blagolepowa absolut nichts …« Er stockte, denn er wollte die Gefühle des verliebten Schreibersnicht verletzen. »D-das heißt, sie ist natürlich sehr hübsch und sozusagen …«
»Sie ist das beste Mädchen der Welt!« unterbrach Shirota ihn streng. »Eine Kapitänstochter! Wie Mascha Mironowa! 1 Aber wenn Sie Sofja Diogenowna nicht lieben, warum haben Sie dann so viel für sie getan?«
»Aber wie konnte ich denn anders? Sie sagten doch selbst: Sie ist einsam, schutzlos, in einem fremden Land …«
Shirota seufzte und erklärte feierlich: »Ich liebe Mademoiselle Blagolepowa.«
»Das d-dachte ich mir schon.«
Plötzlich verbeugte sich der Japaner feierlich – nicht auf europäische Art mit einem Kopfnicken, sondern bis zum Gürtel. Und er richtete sich auch nicht gleich wieder auf, sondern erst nach fünf Sekunden.
Nun sah er Fandorin gerade ins Gesicht, und in seinen Augen glitzerten Tränen. Vor Aufregung mißriet ihm erneut das »R«.
»Sie sind ein edler Mann, Hell Vizekonsul. Ich stehe auf ewig in Ihle Schuld!«
Bald wird halb Japan in meiner Schuld stehen, dachte Fandorin ironisch, um sich nicht einzugestehen, daß er gerührt war.
»Nur eins ist bittel«, seufzte Shirota. »Ich wede mich nie fü Ihlen
Edelmut levanchieren können.«
»Und ob Sie das können.« Fandorin nahm seinen Arm. »Gehen wir in meine Wohnung. Dieser verdammte Pflaumenregen hat schon wieder angefangen.«
Öffne nie den Schirm,
Wenn klarer Pflaumenregen
Hell vom Himmel rauscht.
Der Stern Sirius
Die Nacht roch nach Teer und Morast, denn ganz in der Nähe plätscherte das schmutzige Flüßchen Yoshidagawa, das zwischen Godaúns und Güterkais eingezwängt war.
Fandorins Kammerdiener saß wie verabredet unter der Holzbrücke, dachte über die Unbilden des Schicksals nach und wartete. Sobald Semushi kam, würde sein Herr wie ein Hund heulen – das hatte Masa ihm beigebracht. Eine ganze Stunde lang hatten sie zweistimmig geübt, bis die Nachbarn des Konsulats erklärten, sie würden sich bei der Polizei über die Russen beschweren, wenn diese nicht sofort aufhörten, den armen Hund zu quälen. Da mußten sie Schluß machen, aber der Herr konnte inzwischen ganz gut jaulen.
In Yokohama gab es viele Hunde, und sie heulten nachts oft, so daß weder Semushi noch die Polizeiagenten Verdacht schöpfen würden. Masas Hauptsorge war eine andere – daß er das Jaulen seines Herrn nicht mit dem eines echten Hundes verwechselte. Schließlich wäre es eine Schande für einen Diener, wenn er die edle Stimme seines Herrn nicht vom Heulen einer Promenadenmischung unterscheiden konnte.
Masa mußte ganz still
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