Diamantene Kutsche
herumzappelten!
Der Regen hatte aufgehört, der Himmel war voller Sterne, die von Minute zu Minute heller leuchteten.
Fandorin ging sehr langsam nach Hause, denn er schaute nicht auf den Weg, sondern zum Himmel und bewunderte die astrale Illumination. Besonders schön leuchtete ein Stern ganz am Rand. Sein Licht war bläulich und traurig. Fandorins Kenntnisse über die Sternbilder waren mager, er unterschied nur den Großen und den Kleinen Bären, darum blieb der Name des blauen Fünkchens für ihn ein Rätsel. Er entschied: Für mich ist das der Sirius.
Er war in ausgeglichener, ruhiger Stimmung. Was getan war, war getan und nun nicht mehr zu ändern. Der Leiter der Ermittlungen hatte ungeniert und mit voller Absicht das Gesetz verletzt: Er hatte die Arbeit der Polizei behindert und einem Mann, der eines schweren Staatsverbrechens verdächtigt wurde, zur Flucht verholfen. Wenn Semushi entkam, blieb Fandorin nur eins – ein Geständnis, anschließend Entlassung in Unehren und vermutlich das Gericht.
Als Fandorin in seine leere Wohnung kam, zog er Gehrock und Hose aus und setzte sich in den Salon. Er machte kein Licht. Nacheiner Weile knackte er plötzlich mit den Fingern, als habe er einen glücklichen Einfall, doch das Ergebnis der Erleuchtung war seltsam: Fandorin zog sich lediglich ein Netz übers Haar und einen Bartschoner über den Oberlippenbart, nachdem er diesen mit einer Brennschere eingedreht hatte. Der Himmel wußte, warum er das alles tat – er hatte offensichtlich nicht die Absicht, sich schlafen zu legen, er ging nicht einmal ins Schlafzimmer.
Eine halbe Stunde saß er sinnlos im Sessel und drehte eine kalte Zigarre in der Hand. Dann klingelte es an der Tür.
Fandorin nickte, als habe er darauf gewartet. Er schlüpfte nicht etwa in seine Hose, im Gegenteil – er zog das Hemd aus.
Es läutete erneut, diesmal heftiger. Der Vizekonsul schlüpfte in seinen seidenen Schlafrock und band den Gürtel mit den Quasten zu. Vorm Spiegel improvisierte er ein Gähnen.
Dann erst zündete er die Petroleumlampe an und begab sich in die Diele.
»Asagawa, Sie?« fragte er mit verschlafener Stimme. »Was ist passiert? Ich habe meinem Diener freigegeben, darum öffne ich selbst … Aber warum t-treten Sie nicht ein?«
Doch der Japaner kam nicht herein. Er verbeugte sich knapp und stammelte mit versagender Stimme: »Es ist unverzeihlich … Meine Leute haben Semushi verloren. Ich … Ich kann nichts zu meiner Rechtfertigung vorbringen.«
Das Licht der Lampe fiel auf Asagawas unglückliches Gesicht. Er hat das Gesicht verloren, dachte Fandorin und empfand Mitleid mit dem Inspektor, für den es bestimmt doppelt peinigend war, ausgerechnet vor einem Ausländer das Gesicht zu verlieren. Doch die Umstände verlangten Härte – sonst hätte Fandorin sich auf Erklärungen einlassen und unweigerlich lügen müssen.
Der Vizekonsul zählte in Gedanken bis zwanzig, dann schlug er dem Japaner wortlos die Tür vor der Nase zu.
Nun konnte er ins Schlafzimmer gehen. Von Masa und Shirotawürde er frühestens am Morgen hören. Er sollte ein wenig schlafen – ihm stand vermutlich ein anstrengender Tag bevor.
Doch die Erregung war noch nicht vollständig abgeklungen. Fandorin spürte, daß er nicht gleich einschlafen konnte, und holte sich den zweiten Band der »Fregatte Pallada« aus dem Salon.
Das Gaslicht im Schlafzimmer zischte, ging aber nicht an. Fandorin wunderte sich nicht darüber – die Gasbeleuchtung, die es in Yokohama erst seit kurzem gab, funktionierte nicht immer. Für diesen Fall hatte er einen Kerzenleuchter am Bett.
Fandorin ging im Stockfinsteren bis zum Tischchen und tastete nach den Streichhölzern. Das Zimmer erstrahlte in weichem, zitterndem Licht. Fandorin warf seinen Schlafrock auf den Boden, drehte sich um und schrie auf.
Im Bett, den Ellbogen aufs Kopfkissen gestützt, lag O-Yumi und schaute ihn unverwandt und ohne zu blinzeln an. Über dem Bettrücken hingen Kleid, Mieder und Seidenstrümpfe. Unter der Decke schaute eine blendendweiße runde Schulter hervor.
Das Trugbild richtete sich ein Stück auf, wodurch die Decke bis zur Hüfte glitt; ein geschmeidiger Arm langte nach dem Leuchter, führte ihn an die Lippen – und es wurde wieder dunkel.
Fandorin hätte beinahe aufgestöhnt – das Verschwinden der wunderschönen Schimäre löste einen durchdringenden Schmerz aus.
Er streckte vorsichtig die Hand aus und fürchtete, im Dunklen nichts als Leere zu finden. Doch seine Finger stießen
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