Diamantene Kutsche
Geld. Dafür stecken die Japaner ein Drittel des Staatshaushalts in die Volksbildung. Bald werden hier alle Kinder zur Schule gehen. Patriotismus, ein gesunder Geist und Bildung – genau das ist das Rezept für das Futter, das aus der ›räudigen Katze‹ sehr bald einen Tiger machen wird. Und vergessen Sie nicht den wichtigsten japanischen Schatz, der in unseren Gefilden leider sehr selten ist. Er heißt ›Ehre‹.«
Der Gesandte war erstaunt.
»Verzeihen Sie, wie meinen Sie das?«
»Ganz wörtlich, Exzellenz. Japan ist ein Land der Höflichkeit. Jeder, selbst der Ärmste, hält hier auf seine Ehre. Für den Japaner gibt es nichts Schlimmeres, als die Achtung der Umwelt einzubüßen. Ja, noch ist das Land bettelarm und rückständig, aber es ruht auf einem festen Fundament, und darum wird es erreichen, was es sich vornimmt. Und das wird wesentlich schneller geschehen, als wir glauben.«
Bucharzew setzte die Diskussion nicht fort, er sah den Gesandten nur lächelnd an und breitete vielsagend die Hände aus.
Schließlich sprach Seine Exzellenz ein gewichtiges Wort.
»Wsewolod Vitaljewitsch, ich schätze Sie als hervorragenden Kenner Japans, aber mir ist auch bekannt, daß Sie sich schnell begeisternlassen. Ein zu langer Aufenthalt an einem Ort hat auch seine Schattenseiten: Man sieht die Situation allmählich mit den Augen der Einheimischen. Manchmal ist das nützlich, aber übertreiben Sie es nicht, übertreiben Sie es nicht. Der selige Okubo hat gesagt, er würde nicht getötet, solange sein Land ihn braucht. Ich habe Verständnis für Fatalismus dieser Art, ich bin derselben Ansicht und vermute: Da Okubo nicht mehr ist, bedeutet das, seine Nützlichkeit hat sich erschöpft. Selbstverständlich haben Sie recht mit Ihrer Meinung, der politische Kurs Japans werde sich nun ändern. Aber auch Mstislaw Nikolajewitsch hat recht: Dieses asiatische Land hat nicht das Potential, eine Großmacht zu werden, keinesfalls. Möglicherweise wird es einmal eine einflußreiche und aktive Kraft im Fernen Osten sein, aber ein vollwertiger Mitspieler – niemals. Genau das beabsichtige ich in meinem Bericht an Seine Erlaucht den Herrn Kanzler darzulegen. Und die wichtigste Frage lautet heute: Nach welcher Pfeife wird Japan tanzen, nach der russischen oder nach der englischen?« Baron Korf seufzte tief. »Ich fürchte, wir werden es nicht leicht haben in diesem Kampf. Die Briten haben die besseren Karten. Obendrein begehen wir auch noch unverzeihliche Fehler.« Die Stimme Seiner Exzellenz, bis dahin neutral und ruhig, wurde nun streng, ja hart. »Nehmen wir nur einmal die Jagd auf die falschen Mörder. Das ganze diplomatische Korps tuschelt, Okubo sei einer russischen Intrige zum Opfer gefallen. Wir hätten die Polizei absichtlich auf irgendwelche Landstreicher angesetzt, während die wahren Mörder ungehindert ihre Tat vorbereiten konnten. Der deutsche Gesandte fragte mich heute beim Lawn-Tennis mit feinem Lächeln: ›Okubo war Ihnen wohl nicht mehr nützlich?‹ Ich war schockiert. Ich sagte: ›Euer Erlaucht, woher haben Sie solche Informationen?‹ Wie sich herausstellte, war Bullcocks bereits bei ihm gewesen. Ach, dieser Bullcocks! Es genügt ihm nicht, daß Großbritannien seinen wichtigsten politischen Opponenten losgeworden ist, er muß überdiesRußland in ein schlechtes Licht stellen. Und Sie, meine Herren aus Yokohama, geben seinen Intrigen unfreiwillig neue Nahrung!«
Am Ende seiner Rede war der Gesandte ernstlich in Harnisch geraten, wobei er, als er von den ›Herren aus Yokohama‹ sprach, nicht den Konsul ansah, sondern nur Fandorin, und zwar äußerst ungnädig. Dann goß auch noch Bucharzew Öl ins Feuer.
»Ich hatte Ihnen davon berichtet, Exzellenz. Auf der einen Seite zu große Nachsicht, auf der anderen – verantwortungsloses Abenteurertum.«
Die beiden Seiten – die nachsichtige (also Doronin) und die verantwortungslos-abenteuerliche (Fandorin) – wechselten einen verstohlenen Blick. Die Sache nahm eine üble Wendung.
Der Baron bewegte mümmelnd die schmalen baltischen Lippen, richtete die wäßrigen Augen zur Decke und zog die Brauen zusammen. Doch es fuhr kein Blitz hernieder, es blieb beim Donnergrollen.
»Also, meine Herren aus Yokohama. Von nun an geruhen Sie sich mit Ihren unmittelbaren Konsulatsaufgaben zu befassen. Das betrifft in erster Linie den Herrn Vizekonsul. Sie haben genug zu tun, Fandorin: Versorgung und Reparatur von Schiffen, Unterstützung von Seeleuten und Kaufleuten,
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