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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Erstellung von Handelsberichten. In Politik und Strategie aber mischen Sie sich nicht ein, davon verstehen Sie nichts. Dafür haben wir hier einen Militär, einen Spezialisten.«
    Nun – es hätte auch schlimmer ausgehen können.
     
    Vom Diplomatenviertel mit dem schönen Namen Tigertor zum Bahnhof Shimbashi fuhren sie mit der Kutsche des Gesandten – Seine Exzellenz war ein taktvoller Mensch und besaß ein wichtiges administratives Talent: Er verstand es, einem Untergebenen einen Rüffel zu verpassen, ohne ihn dabei persönlich zu kränken. Die Kutsche mit dem goldenen Wappen an der Tür sollte die bitterePille versüßen, die der Baron den Diplomaten aus Yokohama zu schlucken gegeben hatte.
    Fandorin fand Tokio seiner Heimatstadt Moskau erstaunlich ähnlich. Die Architektur war natürlich völlig anders, aber das Gemisch aus Hütten und Palästen, engen Straßen und Freiflächen erinnerte an Moskau, die neumodische Straße Ginja mit den akkuraten Backsteinbauten an die steife Twerskaja, die sich redlich mühte, dem Newski-Prospekt zu gleichen.
    Fandorin schaute immer wieder aus dem Fenster und betrachtete die eigentümliche Vermischung von japanischen und westlichen Kleidern, Frisuren und Gefährten. Doronin dagegen blickte müde auf die samtbezogene Wand und führte trübsinnige Reden.
    »Rußlands Untergang sind seine Herrscher. Wie sorgt man dafür, daß diejenigen regieren, die das Talent und die Berufung dafür haben, und nicht diejenigen mit den meisten Ambitionen und Beziehungen? Ein weiteres Unglück, Fandorin, besteht darin, daß Mütterchen Rußland das Gesicht dem Westen zuwendet und den Rücken dem Osten. Dabei stoßen wir mit der Nase bloß auf den Hintern des Westens, denn dem Westen sind wir scheißegal. Unser schutzloses Hinterteil aber wenden wir dem Osten zu, und früher oder später wird unser schlaffes Gesäß die scharfen japanischen Zähne zu spüren bekommen.«
    »Und was tun?« fragte Fandorin, der einem Doppeldeckerbus nachschaute, vor den vier kleinwüchsige Pferde gespannt waren. »Sich von Westen nach Osten wenden? Das ist kaum möglich.«
    »Genau darum ist unser Adler doppelköpfig: Damit ein Kopf nach Westen blickt und der andere nach Osten. Deshalb brauchen wir auch zwei Hauptstädte, aber die zweite sollte nicht Moskau sein, sondern Wladiwostok. Dann könnten wir tatsächlich mit den Engländern um die Vorherrschaft im Pazifik streiten.«
    »Aber ich habe g-gelesen, Wladiwostok sei ein unglaubliches Nest, ein Dorf!«
    »Na und? Auch Petersburg war ein Dorf, als Peter die Hand austreckte und sagte: ›Hier hatte die Natur im Sinn ein Fenster nach Europa hin‹ 1 . Schon der Name der Stadt spricht dafür: Wladej wostokom 2 .«
    Bei diesem hochwichtigen Gespräch wandte sich Fandorin vom Fenster ab und dem Konsul zu.
    »Wsewolod Vitaljewitsch, warum sollten wir fremde G-gebiete beherrschen, wenn wir nicht einmal in unseren eigenen für Ordnung sorgen können?«
    Doronin lachte bitter.
    »Sie haben recht, tausendmal recht. Keine Eroberung ist von Dauer, wenn das eigene Haus baufällig ist. Aber das betrifft nicht nur Rußland. Auch das Haus Ihrer Majestät der Königin Viktoria steht auf wackligen Hühnerbeinen. Die Erde wird weder uns noch den Briten gehören. Weil wir sie auf die falsche Weise erobern – mit Gewalt. Und Gewalt, Fandorin, ist das schwächste und kurzlebigste Instrument. Wer durch Gewalt bezwungen wird, beugt sich natürlich, wartet aber nur auf eine Gelegenheit, sich zu befreien. Keine der europäischen Eroberungen in Afrika und Asien wird von langer Dauer sein. In fünfzig, höchstens hundert Jahren wird es keine Kolonien mehr geben. Und auch der japanische Tiger wird nichts erreichen – er lernt von den falschen Lehrern.«
    »Von wem sollten die Japaner denn lernen?«
    »Von den Chinesen. Natürlich nicht von Kaiserin Tzu-hsi, sondern von der chinesischen Gelassenheit und Gründlichkeit. Die Bewohner des Himmlischen Reiches rühren sich nicht von der Stelle, bevor sie bei sich für Ordnung gesorgt haben, und das dauert lange, an die zweihundert Jahre. Aber dann, wenn es den Chinesen zu eng wird, werden sie der Welt zeigen, wie echte Eroberungaussieht. Sie werden nicht mit Waffen klirren und Truppen ins Ausland schicken, o nein! Sie werden den anderen Ländern demonstrieren, daß die chinesische Lebensweise besser und vernünftiger ist. Dann werden die anderen Völker freiwillig ebenso leben wollen. Und nach und nach werden alle zu Chinesen, mag das auch noch

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