Diamantene Kutsche
sei er, Asagawa, schuld, er habe ihn nicht gut genug geprüft.
Der General hörte sich das eine Weile an, dann winkte er ab. Seine Stimme klang beruhigend, und Fandorin schnappte das Wort »Akunin« auf.
»Ich sage, einen wahren Schurken kann man eben nicht lebend fassen, wie sehr man sich auch bemüht«, übersetzte Suga seine eigenen Worte. »Wenn jemand ein starkes Hara hat, kommt man nicht gegen ihn an. Aber der Auftrag ist dennoch erfüllt. Da wird sich der Minister freuen, er hat das Eingesperrtsein satt. Diese fünf Tage waren eine Qual für ihn und für uns. Der große Mann ist gerettet, Japan wird es Rußland und Ihnen persönlich, Herr Vizekonsul, danken.«
An diesem Abend brach Fandorin seine Prinzipien – er fuhr mit einer von drei Rikschakulis gezogenen »Troika« nach Hause. Nach all den emotionalen und physischen Prüfungen war er vollkommen erschöpft. Er wußte selbst nicht, was am meisten an seinen Kräften gezehrt hatte: der blutige Anblick der beiden Selbstmörder oder die anderthalb Stunden Jäten, jedenfalls murmelte er, sobald er im Kuruma saß, nur noch: »Ich werde schlafen, eine Nacht, einen Tag und noch eine Nacht.« Und schlief sofort ein.
Der Wagen, in dem die gefeierten Sieger ins Konsulat zurückkehrten, bot ein wahrlich erstaunliches Bild: In der Mitte schnarchte der Schreiber Shirota im korrekten Anzug und mit Fliege, und rechts und links von diesem ehrbaren Herrn schliefen, den Kopf auf seiner Schulter, zwei halbnackte Bauern, von denen der eine zudem von oben bis unten mit angetrocknetem Pferdemist beschmiert war.
Eine Nacht, einen Tag und noch eine Nacht zu schlafen war Fandorin leider nicht vergönnt.
In der elften Vormittagsstunde wurde der wie tot schlafende Vizekonsul von seinem unmittelbaren Vorgesetzten wachgerüttelt.
Doronin, bleich und zitternd, spritzte Fandorin kaltes Wasser ins Gesicht, den Rest, der noch im Krug war, trank er aus und las Fandorin eine Depesche vor, die soeben aus der Botschaft eingetroffen war.
»Am frühen Morgen wurde Okubo auf dem Weg zum kaiserlichen Palast getötet. Sechs Unbekannte mit gezückten Schwertern töteten den Vorreiter, schlugen den Pferden die Beine ab und erstachen den aus der Kutsche gesprungenen Minister. Der Minister war ohne Leibwache. Über die Täter ist bislang nichts bekannt, Augenzeugen behaupten jedoch, diese hätten Satsuma-Dialekt gesprochen. Geruhen Sie zusammen mit Vizekonsul Fandorin sofort in die Botschaft zu kommen.«
»Wie ist das möglich?« rief Fandorin. »Die Verschwörer sind doch vernichtet!«
»Jetzt ist klar, daß die Gruppe, auf die Sie Jagd gemacht haben, nur dazu da war, die Kräfte und die Aufmerksamkeit der Behörden abzulenken. Womöglich bekamen die Leute des Krüppelarmigen diese Hilfsfunktion erst zugeteilt, als sie ins Blickfeld der Polizei gerieten. Die Hauptgruppe wartete unterdessen geduldig auf ihre Stunde. Kaum hatte Okubo seine Deckung verlassen und war wiederohne Leibwache, schlugen die Mörder zu. Ach, Fandorin, ich fürchte, das ist nicht wiedergutzumachen. Und das Schlimmste steht erst bevor. Das wird traurige Folgen für Rußland haben. Der Dompteur ist tot, der Käfig ist leer, nun wird der japanische Tiger in die Freiheit drängen.«
Der Käfig ist leer,
Das Publikum geflohen.
Der Tiger ist frei.
Irisduft
Im Büro des russischen Gesandten saßen sechs finster dreinblickende Herren; fünf im schwarzen Gehrock, einer in ebenfalls schwarzem Marinerock. Vor dem Fenster der Villa strahlte unbekümmert die Maisonne, doch dichte Vorhänge versperrten ihr den Weg, deshalb war es im Zimmer dunkel, der allgemeinen Stimmung entsprechend.
Formell wurde die Beratung vom Gesandten geleitet, Staatsrat Baron Kirill Wassiljewitsch Korf, doch Seine Exzellenz machte kaum den Mund auf, er schwieg bedeutungsvoll und nickte lediglich gemessen, wenn der rechts von ihm sitzende Bucharzew das Wort nahm. Links vom bevollmächtigten Vertreter des Russischen Reichs saßen zwei weitere Diplomaten, der erste Sekretär und ein blutjunger Attaché, die sich allerdings nicht am Gespräch beteiligten und bei der Vorstellung ihre Namen so leise genuschelt hatten, daß Fandorin sie nicht verstand.
Der Konsul und der Vizekonsul wurden am anderen Ende des langen Tisches plaziert, wodurch der Eindruck einer gewissen Gegensätzlichkeit, wenn nicht gar einer direkten Konfrontation zwischen den Tokiotern und den Yokohamaern entstand.
Zuerst wurden die Einzelheiten des Attentats erörtert: Die
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