Diamantene Kutsche
einen verächtlichen Fußtritt, packte ihn am Kragen und stellte ihn ruckartig auf die Füße.
Der Samurai öffnete die Augen. Noch nie hatte Fandorin in einem menschlichen Blick eine derartig animalische Wut gesehen.
»Eine ausgezeichnete Methode«, sagte Suga und befühlte die Schlinge. »Das sollten wir übernehmen. Nun begreife ich, wie die Türken Sie gefangennehmen konnten.«
Fandorin schwieg dazu – er wollte den Japaner nicht enttäuschen. In Wirklichkeit war er mit einer Abteilung serbischer Volontäre in Gefangenschaft geraten, die von ihrer Truppe abgeschnitten worden waren und alle Patronen verbraucht hatten. Nach Samurai-Begriffen hätten sie sich vermutlich an ihrem eigenen Koppel erhängen müssen.
»Wozu ist das?« fragte Fandorin und zeigte auf den Knebel im Mund des Buckligen.
»Damit er nicht auf die Idee kommt …«
Suga konnte den Satz nicht zu Ende bringen. Mit heiserem Gebrüll schleuderte der Krüppelarmige den General beiseite, stürmte vorwärts und rammte mit voller Wucht die Stirn gegen die Ecke der Tempelmauer.
Es gab ein widerliches Knacken, und der Gefesselte fiel mit dem Gesicht auf die Erde. Unter ihm breitete sich rasch eine rote Pfütze aus.
Suga hockte sich über ihn, tastete am Hals nach dem Puls und winkte resigniert ab.
»Ein Hami ist nötig, damit der Gefangene sich nicht die Zunge abbeißt«, ergänzte Asagawa die Worte seines Vorgesetzten. »Einen solchen Feind lebend zu fangen genügt nicht. Man muß anschließend verhindern, daß er stirbt.«
Fandorin schwieg erschüttert. Er hatte ein schlechtes Gewissen – nicht nur, weil er den wichtigen Verbrecher schlecht gefesselt hatte. Noch mehr schämte er sich für etwas anderes.
»Ich muß Ihnen etwas mitteilen, Inspektor«, sagte er errötend und nahm Asagawa beiseite.
Der Vize-Intendant blieb bei dem einzigen Gefangenen und überpüfte, ob die Fesseln straff genug saßen. Als er sich überzeugt hatte, daß alles in Ordnung war, ging er den Tempel untersuchen.
Inzwischen gestand Fandorin, heftiger stotternd als sonst, demInspektor seine Hinterhältigkeit. Er erzählte ihm von dem Teer und auch von seinem Verdacht gegen die japanische Polizei.
»Ich weiß, d-daß ich Ihnen viele Unannehmlichkeiten b-bereitet und Ihnen in den Augen Ihrer V-vorgesetzten geschadet habe. Ich bitte Sie, mir zu v-verzeihen und k-keinen Groll gegen mich zu hegen …«
Asagawa hörte ihn mit versteinerter Miene an, nur die leicht bebenden Lippen verrieten seine Erregung. Fandorin war auf eine scharfe, durchaus verdiente Abfuhr gefaßt, doch der Inspektor versetzte ihn in Erstaunen.
»Sie hätten mir nichts gestehen müssen«, sagte er leise. »Ich hätte die Wahrheit nie erfahren, und Sie wären der makellose Held geblieben. Aber Ihr Geständnis hat Ihnen weit mehr Mut abverlangt. Die Entschuldigung ist angenommen.«
Er verbeugte sich zeremoniell, und Fandorin erwiderte die Verbeugung.
Suga kam mit drei größeren Bündeln in der Hand aus dem Tempel gelaufen.
»Das ist alles«, sagte er. »Die Meister der Durchsuchung werden sich noch gründlicher umsehen. Vielleicht finden sie ein Geheimversteck. Ich würde gern wissen, wer diesen Verbrechern geholfen, wer ihnen die neuen Schwerter beschafft hat. Oh, ich habe mit Herrn Semushi einiges zu bereden! Ich werde ihn persönlich verhören.« Das blutrünstige Lächeln des Vize-Intendanten ließ Fandorin bezweifeln, daß die Vernehmung im Rahmen der zivilisierten Normen ablaufen würde. »Sie alle werden Auszeichnungen bekommen. Sie, Fandorin-san, einen hohen Orden. Vielleicht sogar …. Miro!« schrie der General plötzlich und zeigte auf Semushi. »Hami!«
Fandorin sah, daß der Holzknebel nicht mehr in Semushis Mund steckte, sondern am Band herabbaumelte. Der Inspektor stürzte zu dem Gefangenen, aber es war zu spät – der riß den Mund weitauf, stieß ein Gebrüll aus, preßte die Kiefer fest aufeinander, und ein roter Blutstrom floß auf seine nackte Brust.
Dann ertönte ein wildes Geheul, das in krampfhaftes Blubbern überging. Suga und Asagawa drückten dem Selbstmörder die Zähne auseinander und stopften ihm Stoffetzen in den Mund, aber das Blut war nicht zu stoppen. Nach fünf Minuten hörte Semushi auf zu stöhnen und verstummte.
Asagawa bot einen kläglichen Anblick. Er verbeugte sich abwechselnd vor seinem Vorgesetzten und Fandorin und versicherte, er begreife nicht, wie der Gefangene den Strick habe durchbeißen können, offenbar sei er nicht fest genug gewesen, und daran
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