Diamantene Kutsche
Angreifer hatten Revolver bei sich getragen, aber nur in die Luft geschossen, zur Ablenkung; der arme Okubo hatte sich mit bloßen Händen vor den Schwertern geschützt, weshalb ihm beide Unterarme abgehackt wurden; der tödliche Hieb hatte den klugen Kopf des Ministers in zwei Teile gespalten; direkt vom Tatort hatten sich die Verschwörer zur Polizei begeben und eine schriftliche Erklärung überreicht, die den Diktator als Usurpator und Feind der Nation darstellt; alle sechs waren ehemalige Samurai aus Satsuma, Landsleute des Getöteten.
Erschüttert fragte Fandorin: »Sie haben sich gestellt? Und nicht versucht, sich zu töten?«
»Das ist jetzt nicht mehr nötig«, erklärte der Konsul. »Sie haben das Ihre getan. Vor Gericht werden sie schöne Reden halten, das Publikum wird sie als Helden ansehen. Man wird Stücke über sie schreiben und sie in Bildern verewigen. Am Ende wird man ihnen natürlich den Kopf abschlagen, aber ein Ehrenplatz in der japanischen Geschichte ist ihnen sicher.«
Dann ging man zum Wichtigsten über – zur Erörterung der politischen Lage und der Prognose für die bevorstehenden Veränderungen. Die Diskussion bestritten im wesentlichen zwei Personen, der Konsul und der Marineattaché, die übrigen hörten zu.
»Nun wird Japan für uns unweigerlich vom Bündnispartner zum Konkurrenten werden, mit der Zeit sogar zum Erzfeind«, prophezeite Doronin düster. »Das ist leider ein Gesetz der politischen Physik. Unter Okubo, einem Anhänger der strengen Kontrolle über alle Bereiche des öffentlichen Lebens, entwickelte sich Japan auf unserem, dem russischen Weg: Eine strenge Machthierarchie, staatliche Steuerung der wichtigsten Wirtschaftszweige, keinerlei Demokratiespiele. Jetzt aber schlägt die Stunde der englischen Partei. Das Land wird den britischen Weg einschlagen – ein Parlament und politische Parteien, Entstehung von privatem Großkapital.Und was bedeutet das britische Modell, meine Herren? Das bedeutet Expansion, gasförmige Ausdehnung nach außen, also das Bestreben, sämtlichen erreichbaren Raum auszufüllen. Davon gibt es ringsum genug: das schwache Korea, das morsche China. Und genau da werden wir mit dem japanischen Tiger zusammenstoßen.«
Kapitänleutnant Bucharzew schreckte die vom Konsul entworfene Perspektive nicht im geringsten.
»Von welchem Tiger reden Sie, mein Herr? Lächerlich, wirklich. Japan ist doch kein Tiger, es ist eine Katze, noch dazu eine räudige. Sein jährliches Staatsbudget beträgt ein Zehntel des russischen Budgets. Von den militärischen Kräften ganz zu schweigen! Der Mikado hat eine Armee für Friedenszeiten, fünfunddreißigtausend Mann. Seine kaiserliche Majestät verfügt über fast eine Million. Und was sind die Japaner schon für Soldaten? Sie reichen unseren Recken knapp bis an die Brust. Und die Flotte? Ich habe im Rahmen meines Dienstes einen Panzerkreuzer besucht, der vor kurzem in England gekauft wurde. Das war ein Anblick – zum Lachen und zum Weinen! Liliputaner, die auf Gulliver herumkriechen. Wie wollen die Japaner den Steuermechanismus eines Zwölf-Millimeter-Geschützes bedienen? Draufspringen und sich zu fünft dranhängen? Von wegen Korea, von wegen China, erlauben Sie, Wsewolod Vitaljewitsch! Die Japaner können von Glück reden, wenn sie die Insel Hokkaido erschließen!«
Bucharzews Rede gefiel dem Gesandten offenbar – er lächelte und nickte.
Doronin aber fragte plötzlich: »Sagen Sie, Mstislaw Nikolajewitsch, in wessen Häusern ist es sauberer – bei unseren Bauern oder bei den japanischen?«
»Was soll die Frage?« Bucharzew runzelte die Stirn.
»Die Japaner sagen: Wenn es im Haus sauber ist, heißt das, die Regierung wird respektiert und ist stabil. Bei uns, meine HerrenLandsleute, ist es schmutzig in den Häusern, und wie. Bei uns herrschen Schmutz und Trunksucht, und beim geringsten Anlaß wird dem Gutsherrn der rote Hahn aufs Dach gesetzt. Bei uns, verehrte Herren, gibt es Bombenleger. Unter der gebildeten Jugend gilt Opposition als guter Ton, bei den Japanern – Patriotismus und Respekt vor der Regierung. Was den Unterschied im Körperbau angeht, so ist das eine Frage der Zeit. Wir sagen: In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist. Die Japaner sehen das umgekehrt. Und darin, wissen Sie, stimme ich ihnen zu. Bei uns sind vier Fünftel der Bevölkerung Analphabeten, die Japaner haben ein Gesetz über die allgemeine Schulpflicht angenommen. Sie erwähnten das Budget – wir hätten zehnmal soviel
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