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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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falsche Seite. Mit Mühe gewann er sein Gleichgewicht wieder. Oh, diese Diener, diese Diener! Es war ja bekannt, daß sie über ihre Herren weit mehr wußten, als diese ahnten. Aber wie? Woher?
    »Woher weißt du das? Doo wakaru?«
    Der Japaner legte seine kurzfingrigen Hände zusammen, preßte die Wange dagegen, als schliefe er, und murmelte: »O-Yumi, O-Yumi … Liebste …«
    »Liebste«?
    Hatte er tatsächlich im Schlaf ihren Namen gesagt?
    Fandorin senkte den Kopf; er fühlte sich gedemütigt und litt. Indessen sprang Masa hoch und schaute über den Zaun. Er begriff den Grund für die sonderbare Position des Vizekonsuls und schaute sich suchend um.
    »Hai«, sagte er. »Shosho o-machi kudasai.«
    Er lief zu der Hundemeute, die träge bellend vorm Nachbarzaunsaß. Er packte einen Hund, drehte ihn um, roch daran und schleuderte ihn beiseite. Dasselbe tat er mit einem zweiten. Den dritten aber hielt er fest, klemmte ihn sich unter den Arm und ging zurück zu seinem Herrn. Die Hunde ließen diese Willkür schweigend geschehen – offenkundig hatten sie Respekt vor dem Stärkeren; nur der Gefangene jaulte klagend.
    »Was w-willst du damit?«
    Seine Beute fest umklammert, kletterte Masa auf den Zaun, zehn Schritte entfernt von Fandorin.
    Er schwang die Beine hinüber, sprang ab und rannte, so schnell er konnte, zur Gartenpforte. Die Mastiffs stürzten zu dem kleinen Mann, bereit, ihn in Stücke zu reißen. Doch der flinke Kammerdiener zog den Riegel auf und schleuderte den gefangenen Hund zu Boden. Der lief winselnd auf die Straße hinaus, und nun geschah ein wahres Wunder: Anstatt den Eindringling zu zerfleischen, rannten die Wachhunde dem verzweifelt fliehenden Streuner nach. Kopf an Kopf verfolgten ihn die Mastiffs.
    Klar, das ist eine läufige Hündin, begriff Fandorin plötzlich. Ein heller Kopf, dieser Masa!
    Auch die Hundemeute verließ ihren Platz und folgte den furchteinflößenden Kavalieren, allerdings in gebührendem Abstand. Fünf Sekunden später war kein einziger Vierbeiner mehr auf der Straße.
    Masa ging zur Pforte hinaus und lud seinen Herrn mit einer Verbeugung ein, den Hof zu betreten. Fandorin warf ihm seinen Mantel zu, gab ihm seinen Hut und ging hinein – nicht über den Zaun, sondern wohlerzogen durch die Tür.
    Von weitem ertönte das sich überschlagende Gebell und das langgezogene Heulen der liebestollen Hundeschar.
     
    Alles vergessen,
    Und Hals über Kopf folgen –
    Dem Ruf der Liebe.

Die Gartenpforte
    Fandorin lief über den breiten, vom Mond hell beschienenen Rasen. Er ging um das Haus herum – durchs Fenster einsteigen sollte er lieber auf der Rückseite, um nicht von einem eventuellen späten Passanten gesehen zu werden.
    Hinterm Haus lag ein dichter, schattiger Garten – genau das Richtige.
    Auf Zehenspitzen spähte der Abenteurer in das erste Fenster. Er erblickte einen großen Raum, Salon oder Speisezimmer. Weißes Tischtuch, Kerzen, die noch brannten, Reste eines Abendessens für zwei Personen.
    Er verspürte einen Stich ins Herz.
    Sie hatte also mit dem einen zu Abend gegessen und war anschließend zum Rendezvous mit einem anderen aufgebrochen? Oder, noch besser, sie hatte sich nach der Rückkehr von ihrem dramatischen Rendezvous seelenruhig mit ihrem rothaarigen Gönner zu Tisch gesetzt? Wahrlich, die Frauen waren rätselhafte Geschöpfe.
    Drei Fenster weiter begann das nächste Zimmer, das Kabinett. Die Fenster waren nur angelehnt, und Fandorin hörte eine
    Stimme, die eines Mannes, und verhielt sich darum besonders vorsichtig – er wollte ausmachen, wo sich der Sprechende befand.
    »Er kassiert eine Rüge, aber die Hauptschuld wird man dem Chef zuschreiben und ihn unehrenhaft in den Ruhestand schicken«, vernahm Fandorin.
    Das Englisch hatte einen deutlichen japanischen Akzent, also war der Sprechende nicht Bullcocks.
    Aber der Herr Berater war ebenfalls anwesend.
    »Und unser Freund erhält die frei gewordene Stelle?« fragte er. Sie sind zu zweit, entschied Fandorin. Der Japaner sitzt in der hinteren rechten Ecke, Bullcocks in der Mitte des Raumes, mit dem Rücken zum Fenster.
    Langsam, Zoll für Zoll, richtete sich Fandorin auf und betrachtete den Raum.
    Bücherregale, ein Schreibtisch, ein brennender Kamin.
    Und vor allem: Keine O-Yumi. Nur die beiden Männer. Über die Lehne des einen Sessels ragte die feuerrote Mähne seines Rivalen. In einem anderen Sessel saß ein eitler Geck – glänzender Haarschopf, eine funkelnde Perle an der seidenen Krawatte. Der elegante

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