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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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abzunehmen und ihn nie wieder zu tragen.
    Wie man mit einem Diamanten Glas schneidet, wußte Fandorin nicht. Er nahm den Ring fest in die Hand und fuhr damit über dieScheibe. Es ertönte ein scheußliches Quietschen, und das Glas bekam einen Kratzer.
    Der Vizekonsul kniff störrisch die Lippen zusammen und setzte den Diamanten erneut an.
    Er drückte mit aller Kraft auf – und plötzlich gab das Fenster nach.
    Im ersten Moment hielt Fandorin das für das Ergebnis seiner Anstrengungen, doch in dem offenen dunklen Rechteck stand O-Yumi. Mit lachenden Augen, in denen sich zwei winzige Monde spiegelten, sah sie den Vizekonsul an.
    »Du hast alle Hindernisse überwunden und deshalb eine kleine Hilfe verdient«, flüsterte sie. »Nur fall um Gottes willen nicht runter. Das wäre jetzt dumm.« Damit packte sie ihn ganz unromantisch, dafür aber sehr praktisch am Kragen.
    »Ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß ich die zwei Tage auch ständig an dich gedacht habe«, sagte Fandorin.
    Die alberne englische Sprache kannte kein intimes Personalpronomen in der zweiten Person, es gab nur das universelle »you«, doch er entschied, daß sie in diesem Augenblick zum »Du« übergingen.
    »Nur deshalb?« fragte sie lächelnd, wobei sie seine Schultern stützte.
    »Ja.«
    »Gut. Ich glaube dir. Du kannst wieder umkehren.«
    Umkehren mochte Fandorin nicht.
    Er überlegte und bat: »Laß mich rein.«
    O-Yumi schaute sich um. Sie flüsterte: »Nur eine Minute. Nicht länger.«
    Fandorin widersprach nicht.
    Er kletterte übers Fensterbrett (zum wiederholten Mal in dieser Nacht) und streckte seine Arme nach O-Yumi aus, doch sie wich zurück.
    »O nein! Sonst reicht eine Minute nicht.«
    Der Vizekonsul barg seine Arme hinterm Rücken, verkündete aber: »Ich will dich mitnehmen!«
    Sie schüttelte den Kopf. Ihr Lächeln erlosch.
    »Warum? Liebst du ihn?« fragte er mit zitternder Stimme.
    »Nicht mehr.«
    »Warum dann?«
    Wieder drehte sie sich um, offenbar zur Tür. Fandorin hatte bisher keinen Blick auf das Zimmer verschwendet, er hätte nicht sagen können, ob es ein Boudoir war oder ein Ankleidezimmer. Seine Augen auch nur eine Sekunde von O-Yumi abzuwenden wäre ihm frevelhaft erschienen.
    »Geh schnell weg. Bitte«, sagte sie nervös. »Wenn er dich hier sieht, bringt er dich um.«
    Fandorin zuckte unbekümmert die Achseln.
    »Er bringt mich nicht um. Das tun Europäer nicht. Er fordert mich höchstens zum D-duell.«
    Nun stieß sie ihn mit ihren kleinen Fäusten zum Fenster zurück.
    »Das wird er nicht tun. Du kennst diesen Mann nicht. Er bringt dich um, ganz bestimmt. Wenn nicht heute, dann morgen oder übermorgen. Aber nicht mit eigenen Händen.«
    »Wenn schon«, murmelte Fandorin, der ihr gar nicht zuhörte und versuchte, sie an sich zu ziehen. »Ich habe keine Angst vor ihm.«
    »Aber vorher bringt er mich um. Das ist ein leichtes für ihn, wie eine Motte totschlagen. Geh. Ich werde zu dir kommen. Sobald ich kann.«
    Aber er ließ sie nicht los. Er berührte mit den Lippen ihren kleinen Mund, erbebte am ganzen Körper und kam erst zu sich, als sie flüsterte: »Willst du meinen Tod?«
    Er wich zurück. Zähneknirschend sprang er aufs Fensterbrett. Vermutlich wäre er mit demselben Schwung hinuntergesprungen,doch plötzlich rief O-Yumi: »Nein, warte!« Und streckte ihm die Arme entgegen.
    Sie stürzten aufeinander zu, zielstrebig und unaufhaltsam wie zwei Züge, die durch schicksalhaften Zufall auf demselben Gleis einander entgegenrasen. Was dann folgt, weiß jeder: Ein ohrenbetäubender Aufprall, eine Rauch- und Feuersäule, alles fliegt auseinander, und Gott allein weiß, wer in dieser Feuerorgie umkommt und wer überlebt.
    Die Liebenden saugten sich aneinander fest. Ihre Hände rissen mehr, als sie kosten, ihre Münder bissen mehr, als sie küßten.
    Sie sanken zu Boden, und diesmal gab es keine himmlische Musik, keine Kunst – nur Knurren, das Zerreißen von Kleidern und den Geschmack von Blut auf den Lippen.
    Plötzlich versetzte eine kleine, aber kräftige Hand Fandorin einen Stoß gegen die Brust.
    Ein Flüstern an seinem Ohr befahl: »Lauf weg!«
    Er hob den Kopf und blickte mit verschleierten Augen zur Tür. Er hörte Schritte, zerstreutes Pfeifen. Jemand kam näher, offenbar die Treppe hoch.
    »Nein«, stöhnte Fandorin. »Laß doch! Ganz egal …«
    Aber sie hatte sich bereits von ihm gelöst – sie stand vor ihm und ordnete hastig ihr zerrissenes Negligé.
    Sie sagte: »Du wirst mich vernichten!«
    Er schwang

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