Diamantene Kutsche
Herr en miniature schlug elegant ein Bein über das andere und wippte mit dem Lackschuh.
»Nicht gleich«, sagte er mit verhaltenem Lächeln. »In einer Woche.«
Ach, Sie kenne ich doch, mein Herr – Fandorin kniff die Augen zusammen. Vom Ball. Fürst … Was hatte Doronin über dich gesagt?
»Ach, Onokoji, das ist echt japanisch.« Der Ehrenwerte lachte spöttisch. »Jemandem eine Rüge erteilen und ihn eine Woche später mit einer Beförderung belohnen.«
Ja, genau, das ist Fürst Onokoji, einst Daimyo, Herrscher eines Fürstentums, heute Salonlöwe und tonangebend in Sachen Mode.
»Das ist keine Belohnung, lieber Aldgernon, sondern lediglich die Besetzung einer entstandenen Vakanz. Aber eine Belohnung für die geleistete Arbeit bekommt er außerdem. Das Gut Takarazaka vor der Stadt. Ach, die herrlichen Pflaumen dort! Und die Teiche!«
»Ja, ein hübsches Plätzchen. Gut seine Hunderttausend wert.«
»Ich bitte Sie, mindestens zweihunderttausend!«
Fandorin wandte sich vom Fenster ab – das interessierte ihn nicht; er überlegte, wo O-Yumi sein könnte.
Im Erdgeschoß waren noch zwei weitere erleuchtete Fenster, aber Bullcocks hatte seine Mätresse bestimmt nicht neben seinem Kabinett einquartiert. Wo also waren ihre Räume? Auf der Vorderseite? Im Obergeschoß?
»Na schön«, sagte der Brite. »Und was ist mit dem Brief des Prinzen Arisugawa? Haben Sie eine Kopie beschaffen können?«
»Mein Mann ist geldgierig, und ohne ihn kommen wir da nicht ran.«
»Hören Sie, ich habe Ihnen doch wohl fünfhundert Pfund gegeben!«
»Ich brauche aber tausend.«
Fandorin verzog angewidert das Gesicht. Doronin hatte gesagt, der Fürst lebe von Don Tsurumakis Zuwendungen, aber offenbar war er auch Nebeneinkünften nicht abgeneigt. Und Bullcocks war auch gut – kaufte Hofklatsch und gestohlene Briefe! Aber das war nun mal das Geschäft eines Spions.
Nein, der Engländer hatte seine einheimische Geliebte bestimmt nicht im vorderen Teil des Hauses untergebracht – immerhin war er eine offizielle Person. Also lagen ihre Fenster vermutlich auf der Gartenseite.
Der Wortwechsel im Kabinett ging weiter.
»Hören Sie, Onokoji, ich bin doch nicht Ihre Melkkuh!«
»Als Dreingabe bekommen Sie für diese Summe noch eine Abschrift des Tagebuchs Ihrer Hoheit«, sagte der Fürst einschmeichelnd. »Eine der Hofdamen ist meine Cousine, und sie ist mir etwas schuldig.«
Bullcocks fauchte verächtlich.
»Hohles Zeug. Damengewäsch.«
»Keineswegs. Ihre Hoheit hat die Angewohnheit, ihre Gespräche mit seiner Majestät festzuhalten.«
Diese Ruchlosigkeiten sollte ich mir nicht anhören, sagte sich Fandorin. Ich bin Gott sei Dank kein Spion. Womöglich sieht mich noch ein Dienstbote, und dann stehe ich am Ende noch schlimmer da als die beiden: »RUSSIAN VICE-CONSUL CAUGHT EAVESDROPPING«. 1
Er schlich sich an der Wand entlang zum Regenrohr und rüttelte vorsichtig daran, ob es stabil genug war. Der Vizekonsul besaß eine gewisse Erfahrung im Klettern an Regenrohren, allerdings aus seinem früheren Leben, vor seiner Diplomatenzeit.
Sein Fuß stand bereits auf der untersten Schelle, doch sein Verstand versuchte noch immer einzuschreiten. »Du benimmst dich wie ein Verrückter, wie ein elendes, verantwortungsloses Subjekt«, sagte sein Verstand. »Besinn dich! Nimm dich zusammen!«
»Das ist wahr«, antwortete Fandorin zerknirscht, »ich bin total verrückt.« Doch die Reue brachte ihn nicht von seinem aberwitzigen Vorhaben ab, sie ließ ihn nicht einmal innehalten.
Der Diplomat kletterte gewandt zum Obergeschoß hinauf, stellte einen Fuß auf den Mauersims und versuchte, das nächstgelegene Fenster zu erreichen. Er klammerte sich am Rahmen fest und bewegte sich mit winzigen Schritten vorwärts. Sein Gehrock war bestimmt schon ganz staubig, aber das kümmerte ihn jetzt nicht.
Schlimmer war, daß das Fenster sich nicht öffnen ließ. Es war verriegelt, und an das obere Lüftungsfenster kam er nicht heran.
Die Scheibe einschlagen? Nein, dann würde das ganze Haus zusammenlaufen.
Am Finger des Vizekonsuls blitzte listig ein Diamant auf – das Abschiedsgeschenk der Dame, die schuld war an Fandorins verspäteter Abreise aus Kalkutta.
In normaler, ausgeglichener Verfassung hätte Fandorin sich allein des Gedankens geschämt – sich mit dem Geschenk der einen den Weg zu einer anderen zu bahnen! Doch das vom Fieber erfaßte Hirn flüsterte nur: Diamant schneidet Glas. Seinem Gewissen aber versprach der junge Mann, den Ring
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