Diamantene Kutsche
sich übers Fensterbrett, ohne sich darum zu scheren, wie er landete, ob auf der Seite, auf dem Rücken oder kopfüber, kam aber erstaunlicherweise glücklicher auf als kürzlich im Grand Hotel, ohne die geringste Prellung.
Aus dem Fenster kam sein Gehrock geflogen, gefolgt von der linken Stiefelette – der Vizekonsul erinnerte sich nicht, wann er sie abgestreift hatte.
Er knöpfte sich notdürftig zu, stopfte das Hemd wieder in die Hose und lauschte: Was geschah jetzt da oben?
Doch das Fenster wurde zugeschlagen, und nun war kein Laut mehr zu hören.
Fandorin ging um das Haus herum und wollte den Rasen überqueren; dort, hinter der offenen Pforte, wartete Masa. Nach ein paar Schritten erstarrte er: Von der Straße her kamen drei längliche, gedrungene Schatten in den Hof gerannt.
Die Mastiffs!
Sie hatten wohl ihr männliches Geschäft erledigt oder waren wie der unglückselige Vizekonsul unverrichteterdinge wieder abgezogen, jedenfalls kamen sie zurück und schnitten ihm den einzigen Rückzugsweg ab.
Fandorin drehte sich um und rannte wieder in den Garten, ohne auf den Weg zu achten; Zweige peitschten ihm das Gesicht.
Die verdammten Hunde liefen viel schneller, ihr Hecheln kam immer näher.
Der Garten endete vor einer Umzäunung aus eisernen Speeren, die zu hoch war, um hinaufzuklettern. Zumal man sich nirgends festhalten konnte.
Fandorin drehte sich um und langte in das Halfter auf seinem Rücken, nach seiner Herstal, aber er durfte ja nicht schießen, das würde das ganze Haus in Aufruhr versetzen.
Der erste Mastiff knurrte und setzte zum Sprung an.
»RUSSIAN VICE-CONSUL TORN TO PIECES« 2 , schoß es dem sterbenden Fandorin durch den Kopf. Er schützte Gesicht und Hals mit den Händen und preßte instinktiv den Rücken gegen die Umzäunung. Plötzlich ertönte ein seltsames metallisches Klirren, das Gitter gab nach, und der Vizekonsul fiel auf den Rücken.
Wenn der Abend kommt,
Quietscht heimlich in der Stille
Die Gartenpforte.
Die Kunst des Jojutsu
Noch ehe Fandorin recht begriffen hatte, was passiert war, ging er in die Hocke, bereit zum aussichtslosen Kampf gegen die drei blutrünstigen Ungeheuer, doch das erstaunliche Gitter (nein, es war eine Pforte!) schlug federquietschend zu.
Auf der anderen Seite prallte ein schwerer Leib mit voller Wucht gegen die Eisenstäbe, Fandorin vernahm wütendes Jaulen und Knurren. Drei wild funkelnde Augenpaare starrten das unerreichbare Opfer an.
»Not your day, folks!« 1 rief ihnen der Vizekonsul zu, dessen Englisch durch den Umgang mit Lockstone ein wenig vulgär geworden war.
Er atmete tief ein und wieder aus, um seinen Puls zu beruhigen. Er blickte sich nach allen Seiten um – wer hatte die rettende Pforte geöffnet?
Ringsum war keine Menschenseele.
In der Ferne leuchtete der schneeweiße Palast des neureichen Tsurumaki, etwas näher funkelte ein mit Seerosen überwucherter Teich, unbeschreiblich schön im Mondlicht mit seiner winzigen Insel, den Miniaturbrücken und dem stachligen Schilf am Ufer. Von dort drang das melancholische Quaken eines Froschs. Die schwarze Wasseroberfläche schien mit Silberfäden durchwirkt – vom Widerschein der Sterne.
Besonders gefiel dem Vizekonsul ein schwarz schimmernder Pavillon direkt am Wasser, dessen geschwungenes Dach aussah wie zum Flug ausgebreitete Flügel. Auf einem schwerelos wirkenden Türmchen stand starr eine Wetterfahne in Gestalt eines Phantasievogels.
Sich nach allen Seiten umblickend, ging der verblüffte Fandorin am Ufer entlang. Was war das für eine Zauberei? Wer hatte diePforte geöffnet und anschließend wieder geschlossen? Wer hatte den nächtlichen Abenteurer vor dem sicheren Tod bewahrt?
Erst als Teich und Pavillon hinter ihm lagen, schaute Fandorin zum Palast.
Das elegante Gebäude im Stil der Villen der Champs-Élysées wandte seine Terrasse dem kleinen See zu, und im Obergeschoß, hinter einer verspielten Balustrade, stand jemand und winkte dem ungebetenen Gast zu – eine Gestalt in einem langen Kaftan, einen Fes mit Quaste auf dem Kopf.
Am Fes erkannte ihn Fandorin: Es war der Herr des Besitzes höchstpersönlich. Als Don Tsurumaki sah, daß er entdeckt war, bedeutete er Fandorin mit einladender Geste: Bitte, treten Sie näher.
Da war nichts zu machen – schließlich konnte Fandorin nicht einfach verschwinden. Er fluchte halblaut, verbeugte sich dann höflich und ging auf das Haus zu. Krampfhaft suchte sein zäher Verstand nach einer halbwegs glaubhaften Erklärung für sein
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