Diamantene Kutsche
denn nicht? Weil ich Diplomat bin? Dann gehe ich eben in den Ruhestand! Weil du Angst hast vor Bullcocks? Ich werde ihn zum Duell fordern und töten! Oder wenn … W-wenn er dir leid tut, gehen wir einfach weg von hier!«
»Das ist es nicht«, erklärte sie ihm geduldig, wie einem Kind. »Ganz und gar nicht.«
»Was dann?«
»Sieh dir mal deine linke Augenbraue an. Sie bildet einen Halbkreis, da. Und darüber ist eine kleine Falte, hier. Noch ist sie unsichtbar, aber in fünf Jahren wird sie hervortreten.«
»Was hat die Falte damit zu tun?« Fandorin schmolz unter ihren Berührungen dahin.
»Sie bedeutet, daß dich sehr viele Frauen lieben werden, und das würde mir kaum gefallen. Und dann dieser leicht herabhängende Mundwinkel, er sagt, daß du das nächste Mal frühestens mit sechzig heiraten wirst.«
»Mach dich nicht lustig über mich, ich meine es ernst! Wir heiraten und gehen weg. Wenn du willst, nach Amerika, ja? Oder nach Neuseeland? Lockstone war dort, er sagt, das ist der schönste Platz auf der Welt.«
»Ich meine es auch ernst.« O-Yumi nahm seine Hand und fuhr sich damit über die Schläfe. »Spürst du, wo die Ader verläuft? Einen und einen viertel Sun neben dem Augenwinkel. Das bedeutet, daß ich niemals heiraten werde. Außerdem habe ich ein Muttermal, hier …«
Sie schlug den Kimono auseinander und entblößte ihre Brust.
»Ja, ich weiß. Und was bedeutet das laut deinem Ninso?« fragte Fandorin und konnte sich nicht enthalten, das Muttermal unter ihrem Schlüsselbein zu küssen.
»Das kann ich dir nicht sagen. Aber sprich mit mir bitte nie wieder von Heirat oder von Aldgie.«
Ihre Augen waren ohne jedes Lächeln – ein strenger, trauriger Schatten huschte darüber hin.
Fandorin wußte nicht, was ihn mehr verletzte: »Aldgie«, die Bestimmtheit ihrer Ablehnung oder die offenkundige Lächerlichkeit ihrer Argumente.
Sie hat einen Narren aus mir gemacht, einen grünen Jungen, fuhr es ihm durch den Sinn. Ihm fiel ein, was Doronin kürzlich zu ihm gesagt hatte: »Was ist los mit Ihnen, mein Lieber? Sie werden zusehends frischer und jünger. Als Sie ankamen, sahen Sie aus wie dreißig, jetzt glaubt man Ihnen Ihre zweiundzwanzig, trotz der grauen Schläfen. Das japanische Klima und die gefährlichen Abenteuer bekommen Ihnen offensichtlich.«
Hastig, um sich nicht eines anderen zu besinnen, sagte Fandorin: »Wenn das so ist, werden wir uns nicht mehr treffen. Solange, bis du dich von ihm getrennt hast.«
Dann biß er sich auf die Lippen, um seine Worte nicht sogleich wieder zurückzunehmen.
Sie sah ihm schweigend in die Augen. Als sie begriff, daß er nicht mehr sagen würde, senkte sie den Kopf. Sie zog sich den heruntergerutschten Kimono wieder über die Schultern und ging langsam hinaus.
Fandorin hielt sie nicht auf, rief sie nicht, schaute ihr nicht einmal nach.
Von einem Schmerz in seinen Händen kam er zu sich. Er hob sie an die Augen, starrte verständnislos auf die Bluttröpfchen und begriff nicht gleich, daß diese Spuren von seinen Fingernägeln rührten.
Nun, das war’s, sagte sich der Vizekonsul. Besser so, als zu einem vollkommenen Nichts zu werden. Lebt wohl, goldene Träume.
Und tatsächlich flohen ihn die Träume. Zu Hause angelangt, zog er sich aus und ging ins Bett, konnte aber nicht einschlafen. Er lag auf der Seite und blickte auf die Wand. Anfangs war sie kaum zu erkennen, nur als grauer Schimmer in der Dunkelheit; doch je näher die Morgendämmerung rückte, desto heller wurde die Wand, dann traten vage Muster hervor, die sich als Rosenblüten entpuppten, und schließlich schien die Sonne ins Fenster, und die Blumen glitzerten golden.
Er mußte aufstehen.
Fandorin beschloß zu tun, als wäre alles auf der Welt sinnvoll und harmonisch eingerichtet – nur so konnte er dem Chaos in seiner Seele widerstehen. Er machte seine täglichen Hantelübungen und seine Atemgymnastik und lernte von Masa, mit dem Fuß eine Garnrolle vom Bettpfosten zu schlagen, wobei er sich ziemlich schmerzhaft den Spann stieß.
Die Leibesübungen und der Schmerz kamen ihm gerade recht; sie förderten seine Willenskonzentration. Fandorin fühlte, daß er auf dem richtigen Weg war.
Er zog sein gestreiftes Trikot an und trat seinen gewohnten Morgenlauf an – bis zum Park, dann zwanzig Runden auf der Allee, um den Kricketplatz.
Die Nachbarn auf dem Bund, meist Angelsachsen und Amerikaner, hatten sich schon an die Wunderlichkeiten des russischen Vizekonsuls gewöhnt und lüpften beim
Weitere Kostenlose Bücher