Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
raustragen kann. Nur der B-besitzer weiß, wieviel Zeit er hat, bis die Feder zuschnappt, ein Einbrecher aber sitzt in der Falle. Geben Sie Ruhe, Asagawa. Wir kommen hier nicht raus.«
    Der Inspektor setzte sich neben ihn in die Ecke.
    »Macht nichts«, sagte er munter. »Bleiben wir eben bis morgenfrüh hier sitzen, und dann sollen sie uns ruhig verhaften. Wir haben schließlich etwas vorzuweisen.«
    »Niemand wird uns verhaften. Wenn Suga morgen früh zum Dienst kommt, wird er an der Unordnung in seinem Büro erkennen, daß ungebetene Gäste da waren. Der Stuhl unterm Kruzifix wird ihm verraten, daß ihm was in die Falle gegangen ist. Er wird uns hier verdursten lassen. Ich g-gestehe, vor einem solchen Tod habe ich mich immer gefürchtet.«
    Das sagte er im übrigen ohne besondere Emotionen. Offenbar hatte die Vergiftung seines Herzens und seines Verstandes sich bereits auf seinen Selbsterhaltungstrieb ausgewirkt. Verdursten wir eben, dachte Fandorin träge. Ist das nicht egal?
    Fatalismus ist ansteckend. Asagawa blickte auf das trüber werdende Flämmchen seiner Lampe und sagte nachdenklich: »Keine Angst. Wir werden nicht verdursten. Wir werden ersticken. Noch bevor Suga auftaucht. Die Luft hier drin reicht höchstens für vier Stunden.«
    Eine Weile saßen sie schweigend da, jeder in seine Gedanken vertieft. Fandorin zum Beispiel in recht merkwürdige. Ihm kam plötzlich in den Sinn, daß das alles womöglich gar nicht real war. Die Ereignisse der letzten zehn Tage waren so unwahrscheinlich gewesen und er selbst hatte sich so lächerlich aufgeführt – das Ganze war einfach absurd, Unfug. Ein andauernder Traum oder Chimären, Vorboten des Todes. Schließlich wußte niemand genau, was mit der Seele des Menschen geschah, wenn sie sich vom Körper löste. Was, wenn in ihr Phantomprozesse abliefen wie im Traum? Vielleicht war das alles gar nicht real gewesen: die Verfolgung des gesichtslosen Mörders, der Pavillon am nächtlichen Teich. In Wirklichkeit war Fandorins Leben womöglich abgerissen, als die graubraune Mamushi ihn mit ihren Perlenaugen anstarrte. Oder gar noch früher – als er in sein Schlafzimmer gekommen war und dort den lächelnden alten Japaner entdeckt hatte.
    Unsinn, sagte sich der Vizekonsul und schüttelte sich.
    Auch Asagawa, dessen Gedanken wohl ebenfalls in die Irre gegangen waren, schüttelte sich.
    »Wir sollten hier nicht rumsitzen«, sagte der Japaner und stand auf. »Wir haben unsere Pflicht noch nicht getan.«
    »Was können wir denn tun?«
    »Suga seinen Stachel ausreißen. Das Archiv vernichten.«
    Der Inspektor nahm mehrere Mappen vom Regal, trug sie in seine Ecke und riß die Blätter darin in winzige Schnipsel.
    »Verbrennen wäre natürlich besser, aber wir haben zu wenig Sauerstoff«, murmelte er besorgt.
    Fandorin blieb noch ein wenig sitzen, dann half er Asagawa. Er reichte ihm Mappe um Mappe, und dieser verrichtete methodisch sein Vernichtungswerk. Papier wurde zerrissen, der Abfallberg in der Ecke wuchs stetig.
    Die Luft wurde knapp. Dem Vizekonsul traten Schweißtröpfchen auf die Stirn.
    »Ersticken gefällt mir nicht«, sagte er. »Lieber schieße ich mir eine Kugel in die Schläfe.«
    »Ja?« fragte Asagawa nachdenklich. »Ich ersticke lieber. Sich zu erschießen ist nicht japanisch. Zu laut, und man hat keine Zeit zu spüren, daß man stirbt.«
    »Das ist vermutlich der wesentliche Unterschied zwischen der europäischen und der japanischen Kultur«, begann Fandorin tiefsinnig, doch sie konnten die hochinteressante Diskussion nicht fortsetzen.
    Irgendwo über ihnen ertönte ein leises Pfeifen, und in den Gaslampen zuckten bläuliche Flämmchen auf. Es wurde hell in der Geheimkammer.
    Fandorin drehte sich um und schaute hinauf. Dicht unter der Decke in der Wand öffnete sich ein winziges Fenster. Daraus blickte ihn ein schmales Auge an.
    Gedämpftes Lachen ertönte, dann sagte eine bekannte Stimme auf Englisch: »Das ist ja eine Überraschung. Ich hätte jeden anderen erwartet, aber nicht den Herrn Diplomaten. Ich wußte, daß Sie ein gescheiter und tatendurstiger Mann sind, aber das …«
    Suga! Woher wußte er?
    Der Vizekonsul schwieg, schnappte nur gierig nach der Luft, die durch die enge Öffnung in den Raum drang.
    »Wer hat Ihnen von der Geheimkammer erzählt?« fragte der Polizei-Intendant, ohne eine Antwort abzuwarten. »Von ihrer Existenz wußten außer mir nur Ingenieur Schmidt, zwei Maurer und ein Zimmermann. Aber die sind alle ertrunken. Nein, das macht mich

Weitere Kostenlose Bücher