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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Wozu?« fragte Fandorin und zögerte, sich zu setzen.
    »Weil Sie mutig sind, unberechenbar und ein Glückspilz. Aber noch mehr brauchen Sie mich. Sie möchten doch Ihre Frau retten, oder? Also setzen Sie sich und hören Sie zu.«
    Nun setzte sich der Vizekonsul, Tsurumaki mußte seine Einladung nicht noch einmal wiederholen.
    »Wie kann ich das?« fragte er hastig. »Was wissen Sie?«
    Tsurumaki kratzte sich den Bart und seufzte.
    »Das ist eine lange Geschichte. Ich hatte nicht die Absicht, mich vor Ihnen zu rechtfertigen, den ganzen Unsinn zu widerlegen, den Sie sich in bezug auf mich einbildeten. Aber da wir eine gemeinsame Sache vor uns haben, muß ich es tun. Versuchen wir, unsere frühere Freundschaft wiederherzustellen.«
    »Das wird nicht leicht sein.« Diese Bemerkung konnte Fandorin nicht unterdrücken.
    »Ich weiß. Aber Sie sind ein kluger Mann und werden begreifen, daß ich die Wahrheit sage. Bringen wir für den Anfang Klarheit indie Geschichte mit Okubo, denn damit hat ja alles angefangen.« Tsurumaki sah seinem Gegenüber ernst und ruhig in die Augen, als habe er entschieden, die Maske des fröhlichen Bonvivants abzulegen. »Ja, den Minister habe ich beseitigt, aber das ist unsere innerjapanische Angelegenheit, die Sie nichts angeht. Ich weiß nicht, wie Sie das Leben sehen, Fandorin, für mich ist es ein ewiger Kampf zwischen Ordnung und Chaos. Die Ordnung möchte alles in Schubfächer stecken, mit Nägeln festklopfen, sichern und entschärfen. Das Chaos zerstört diese akkurate Symmetrie, stellt die Gesellschaft auf den Kopf und respektiert keinerlei Gesetze und Regeln. In diesem ewigen Kampf bin ich auf der Seite des Chaos, denn das Chaos ist das Leben, die Ordnung dagegen der Tod. Ich weiß sehr gut, daß ich wie alles Lebendige verurteilt bin – früher oder später wird die Ordnung mich besiegen, ich werde Ruhe geben und mich in ein Stück regloser Materie verwandeln. Aber solange ich lebe, will ich es mit ganzer Kraft tun, so, daß um mich herum die Erde bebt und die Symmetrie zerstört wird. Verzeihen Sie diese philosophische Abschweifung, aber ich möchte, daß Sie richtig verstehen, wie ich beschaffen bin und was ich will. Okubo war die Verkörperung der Ordnung; bloße Arithmetik und buchhalterische Kalkulation. Hätte ich ihn nicht aufgehalten, wäre Japan ein zweitklassiges pseudoeuropäisches Land geworden, dazu verurteilt, ewig hinter den Großmächten zurückzubleiben. Die Arithmetik ist eine tote Wissenschaft, denn sie beruht nur auf dem Materiellen. Doch die wesentliche Stärke meiner Heimat liegt in ihrem Geist, und der läßt sich nicht berechnen. Er ist immateriell und ganz und gar dem Chaos zugehörig. Diktatur und absolute Monarchie sind symmetrisch und tot. Der Parlamentarismus ist anarchistisch und voller Leben. Okubos Fall ist ein kleiner Sieg des Chaos, ein Sieg des Lebens über den Tod. Verstehen Sie, was ich meine?«
    »Nein«, erwiderte der gebannt lauschende Fandorin. »Aber redenSie weiter. Nur k-kommen Sie bitte von der Philosophie zu den Fakten.«
    »Gut, zu den Fakten. Ich denke, die Einzelheiten der Operation kann ich mir sparen – die haben Sie ganz gut herausgefunden. Ich habe Satsumaer Fanatiker eingespannt und einige hochrangige Beamte, die die Zukunft Japans genauso sehen wie ich. Schade um Suga. Er war eine markante Figur, er hätte es weit gebracht. Aber ich mache Ihnen keine Vorwürfe – Sie haben mir dafür Shirota gegeben. Für die Russen war er nur ein kleiner einheimischer Angestellter, ich aber werde aus diesem Samen eine wundervolle Sonnenblume ziehen, Sie werden sehen. Und vielleicht söhnen Sie sich eines Tages mit ihm aus. Drei Freunde wie Sie, ich und er – das ist eine gewaltige Kraft.«
    »Drei Freunde?« wiederholte Fandorin, die Hände in die Sessellehne gekrallt. »Ich hatte drei Freunde. Sie haben sie alle getötet.«
    Tsurumakis Gesicht wurde lang und kummervoll.
    »Ja, das ist sehr ungünstig gelaufen … Ich habe nicht befohlen, sie zu töten, ihnen sollte nur abgenommen werden, was nicht in fremde Hände geraten durfte. Es ist natürlich meine Schuld. Aber nur, weil ich nicht ausdrücklich untersagt hatte, sie zu töten. Die Schattenkrieger machen es sich gern so bequem wie möglich. Sie anzurühren habe ich ihnen verboten, weil Sie mein Freund sind. Darum blieben Sie im Gegensatz zum Fürsten am Leben.«
    Fandorin zuckte zusammen. Das klang glaubhaft! Tsurumaki wollte seinen Tod nicht? Wenn das stimmte, dann war das ganze

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