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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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herauszufinden, ob sie bereits einem der Männer gehörte. Sich den Zorn eines dieser Teufel zuzuziehen hätte ihm gerade noch gefehlt.
    Masa saß eine Weile bei dem »Kätzchen« in der Küche, lobte ihre Reisrollen und erfuhr alles, was er wissen wollte. Es gab einen Bräutigam, er hieß Ryuzo und war ein guter Junge, aber er studierte schon seit einem Jahr im Ausland.
    Schön, sollte er studieren!
    Nun konnte Masa ans Werk gehen.
    Ein paar Tage verwandte er darauf, sich mit dem Objekt anzufreunden. Keinerlei schmachtende Blicke, keine Andeutungen – Buddha bewahre! Sie fühlte sich einsam ohne ihren Bräutigam, auch er sehnte sich hier unter lauter Fremden nach seinem Zuhause; sie waren etwa gleich alt – das gab doch genug Gesprächsstoff, oder?
    Er erzählte ihr von den Wunderdingen in Yokohama (zum Glück war Etsuko noch nie in der Gaijinstadt gewesen), wobei er natürlich ein wenig aufschnitt, damit es interessanter klang. Nach und nach lenkte er das Gespräch auf die Bettsitten der Gaijin. Das Mädchen bekam blanke Augen, ihr Mund stand halboffen. Aha! Sie war zwar eine Shinobi, aber aus lebendigem Fleisch und Blut.
    Nun war er sich seines Erfolges sicher und ging zum letzten Stadium über – er fragte sie, ob es stimme, daß die Itinoku-Frauen frei über ihren Körper bestimmen dürften und es den Begriff des Betrügens zwischen Frau und Mann oder Bräutigam gar nicht gebe.
    »Wie kann ein Spalt im Körper betrügen? Betrügen kann nur die Seele, und unsere Seele ist treu«, antwortete die kluge Etsuko stolz.
    Ihre Seele war Masa einerlei, ihm genügte auch der Spalt. Er lamentierte eine Weile, er habe noch nie ein Mädchen umarmt – er sei so schüchtern und unsicher.
    »Komm um Mitternacht zur Schlucht«, flüsterte Etsuko. »Sei es drum, ich werde dich umarmen.«
    »Das wäre eine barmherzige Tat«, stammelte er lammfromm und zwinkerte heftig – vor Rührung.
    Der Ort für das Rendezvous war gut gewählt, das mußte er dem Mädchen lassen. Nachts war dort keine Menschenseele, das nächsteHaus war gut hundert Schritt entfernt. Wachposten gab es in
    Kakishimura nicht – wozu? Jenseits der Schlucht lagen »singende Bretter« unter der Erde – wenn jemand drauftrat, schrie ein Uhu, das war weithin zu hören. Als Masa und sein Herr damals am Seil herübergeklettert waren, hatten sie keine Ahnung, daß das Dorf die Gäste bereits erwartete.
    Mit Etsuko ging es sehr schnell, ja, zu schnell. Er mußte gar nicht den unerfahrenen Jungen spielen, um sie heftiger zu entfachen. Sie kam aus dem Gebüsch gesprungen und fiel über ihn her, wobei sie ihn beinahe umwarf, und im nächsten Augenblick stöhnte, schnaufte und schrie sie bereits, wobei sie auf Masa auf und ab hüpfte wie eine Katze, die einen Hund in den Krallen hat.
    Es war nichts Besonderes an dem Itinoku-Mädchen. Nur, daß ihre Schenkel steinhart waren – sie preßte sie so um seine Hüften, daß er fürchtete, blaue Flecke zu bekommen. Aber sie war ohne jede Phantasie. Da war sogar Natsuko einfallsreicher.
    Etsuko stammelte glücklich, streichelte Masas stachligen Kopf und war zärtlich, er aber konnte seine Enttäuschung nicht verbergen.
    »Hat es dir nicht gefallen?« fragte sie betrübt. »Ich weiß, ich habe das nicht gelernt … Der Jonin hat gesagt: ›Das brauchst du nicht.‹ Aber weißt du, wie gut ich auf Bäume klettern kann? Wie ein richtiger Affe! Soll ich es dir zeigen?«
    »Ja, gern«, gestattete Masa träge.
    Etsuko sprang auf, lief zu der toten Kiefer und kletterte in unglaublichem Tempo den verkohlten Stamm hinauf.
    Masa kam ein poetischer Gedanke: Weißes Lebendiges auf schwarzem Totem. Er überlegte sogar, ob er nicht ein Haiku über das nackte Mädchen auf der verbrannten Kiefer dichten sollte. Die ersten beiden Zeilen hatte er schon, fünf Silben und sieben:
     
    Kohlschwarze Kiefer.
    Ein bebender Schmetterling …
     
    Und weiter? »Das Mädchen darauf«? Zu direkt. »Erhob sich die Liebe?« Das waren sechs Silben, eine zuviel.
    Auf der Suche nach Inspiration rollte er näher zur Kiefer – zum Aufstehen war er zu faul.
    Plötzlich vernahm er über sich ein seltsames, schmatzendes Geräusch. Mit leisem Stöhnen fiel Etsuko vom Baum, zwei Schritte von Masa entfernt. Starr vor Entsetzen entdeckte er auf ihrem weißen Rücken, unterm linken Schulterblatt, einen dicken gefiederten Pfeil.
    Er rappelte sich auf, wollte zu ihr stürzen, um zu sehen, ob sie noch lebte.
    Etsuko lebte. Ohne sich umzudrehen oder den Kopf zu heben,

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