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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Midori-san Tambas Worte übersetzte, ließ Masa kein Auge vom Jonin. Der war fertig mit den Bambusstöcken und steckte sie in einen schmalen Sack, an dem ein großes Stück schwarzen Stoffs befestigt war.
    Was war das für ein eigenartiges Ding?
    Eine Fahne, das ist eine Fahne, begriff Masa plötzlich, und ihm wurde alles klar.
    Das Oberhaupt der Shinobi wollte auf schöne Weise aus dem Leben gehen, mit der wehenden Fahne seines Clans in der Hand. Deshalb suchte er Zeit zu gewinnen.
    »Ist das die Momoti-Fahne?« fragte Masa den neben ihm stehenden Tanshin flüsternd. Der schüttelte den Kopf.
    »Was dann?«
    Der ungehobelte Kerl würdigte ihn keiner Antwort.
    Tamba hob den Stoff mit den Bambusstecken, warf ihn sich um die Schultern und knöpfte ihn zu – nun sah man, daß es keine Fahne war, sondern eine Art weiter Mantel.
    Dann streckte der Jonin schweigend die Hand aus, und Tanshin legte ein entblößtes Schwert hinein.
    »Leb wohl!« sagte der Sensei. Der Shinobi antwortete mit einem Wort, das Masa in dieser Nacht schon einmal gehört hatte: »Kongojo.« Und verbeugte sich feierlich.
    Tamba ging in die Mitte des Dachbodens, zog an einer Schnur am Kragen, und der sonderbare Mantel legte sich straff um seinen Körper.
    »Was hat der Sensei vor?« fragte Masa Tanshin.
    »Schau hinunter«, knurrte der, ließ sich auf alle viere nieder und preßte sein Gesicht an den Boden.
    Masa folgte seinem Beispiel.
    Im Boden waren kleine Sehschlitze, durch die man in den Flur und in sämtliche Zimmer schauen konnte.
    Überall liefen Schwarzjacken herum, mitten im Flur leuchtete der blanke Kahlkopf des Mönchs.
    »Habt ihr sie noch nicht?« brüllte er, über ein Loch im Boden gebeugt. »Jeden Shaku 5 abklopfen! Es muß irgendwo Geheimverstecke geben!«
    Masa riß den Kopf vom Spalt und sah zu Tamba – gerade rechtzeitig.
    Der Jonin betätigte mit dem Fuß einen Hebel, und eine weitere Luke öffnete sich, direkt über dem Flur. Aufrecht wie eine Lanze sprang der Alte hinunter.
    Masa preßte seine Nase erneut an den Boden, um nichts zu verpassen.
    Was für ein Schauspiel!
    Der Jonin landete zwischen dem Mönch und zwei Schwarzjacken. Die sperrten nur das Maul auf, der Kahlgeschorene aber sprang zur Seite und zückte einen Revolver. Aber was konnte er gegen Tamba schon ausrichten! Ein kurzer Schwerthieb, ein flimmernder Klumpen rollte über den Boden, und aus der durchtrennten Kehle strömte Blut. Ohne sich umzudrehen, warf der alte Shinobi den linken Arm nach hinten, berührte leicht die Nase des einen Mannes, und der sank wie ein Stein zu Boden. Der zweite ging in die Hocke und hielt sich die Hände über den Kopf, doch Tamba rührte ihn nicht an.
    Er beugte sich ein wenig vor und lief, erst langsam, dann immer schneller und schneller, zu der offenen Tür, hinter der der Abgrund lag. Eine ganze Meute Verfolger stürmte ihm nach.
    Masa war begeistert. Was für ein Einfall! Ein letzter Kampf auf dem Steg über dem Abgrund! Erstens konnte ihn so niemand von hinten angreifen, und zweitens war das wirklich schön! Außerdem waren die Schwarzjacken ohne Gewehre, die hatten sie draußen gelassen. Ach, der alte Tamba würde noch einige von ihnen in Stücke hacken!
    Er vernahm neben sich ein Geräusch. Tanshin war aufgesprungen und zum Fenster gestürzt. Er will den letzten Kampf seines Herrn sehen, mutmaßte Masa und rannte hinterher.
    Durch das Gitter konnte man alles gut überblicken. Der Mond war herausgekommen, und die Holzbohlen schimmerten silbrig über der schwarzen Leere.
    Der Jonin rannte auf den silbrigen Steg, seine Mantelschöße blähten sich wie Fledermausflügel. Aus vollem Anlauf stieß er sich ab und sprang in den Abgrund.
    Und der letzte Kampf? hätte Masa beinahe gerufen. Er hätte doch erst ein, zwei Dutzend Feinde in Stücke hacken müssen, bevor er wie ein Stein in den Abgrund stürzte.
    Aber Tamba stürzte nicht wie ein Stein!
    Die Schwarzjacken, die sich auf der Brücke drängten, heulten auf vor Entsetzen, und auch auf Masas Stirn trat kalter Schweiß. Aus gutem Grund …
    Der Anführer des Momoti-Clans hatte sich in einen Vogel verwandelt!
    Ein riesiger schwarzer Habicht schwebte über dem Tal, teilte mit seinen Schwingen das Mondlicht und glitt langsam tiefer.
    Als jemand Masa auf die Schulter klopfte, kam er wieder zu sich.
    »Jetzt müssen wir uns beeilen«, sagte Tanshin. »Bevor sie sich besinnen.«
    Midori-san und Masas Herr waren bereits durch die Luke aufs Dach gestiegen. Sie mußten sie

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