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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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er sei auf der anderen Seite gewesen und habe die Posten getötet. Es waren nur sechs.
    »Warum sind Sie nicht hergeflogen, Sensei?« fragte Masa.
    »Ich bin kein Vogel, um am Himmel zu fliegen. In die Schlucht bin ich mit Stofflügeln geschwebt, das kann man lernen«, erklärte der schlaue Alte, aber Masa glaubte ihm natürlich nicht.
    »Was ist hier geschehen?« fragte der Sensei mit einem Blick auf den am Boden Liegenden und auf die Ruinen seines Hauses. »Wo ist meine Tochter?«
    Masa erzählte ihm, was geschehen war und wo seine Tochter sich befand.
    Der Jonin zog die grauen Brauen zusammen, weinte jedoch selbstverständlich nicht – er war schließlich ein Ninja.
    Er schwieg lange, dann sagte er knapp: »Ich werde sie selbst holen.«
    Masa schwieg ebenfalls eine Weile – so lange, wie es die Ehrfurcht vor den väterlichen Gefühlen gebot, und äußerte dann seine Sorge wegen des seltsamen Zustandes seines Herrn. Er erkundigte sich vorsichtig, ob Midori-san vielleicht übertrieben haben und sein Herr nun für immer gelähmt sein könnte.
    »Er kann sich bewegen«, antwortete Tamba, nachdem er den Liegenden noch einmal angesehen hatte. »Er will bloß nicht. Mag er vorerst so verweilen. Laß ihn in Ruhe. Ich gehe die Trümmer durchsuchen. Und du hackst Holz und richtest ein Bestattungsfeuer her. Ein großes.«
     
    Regungslos schaut er
    Auf die Flammen des Feuers
    Bis zum Morgengraun.

Er gab keine Antwort
    Fandorin lag auf der Erde und blickte zum Himmel. Erst war er fast schwarz, vom Mond beleuchtet. Dann verschwand das Mondlicht, und der Himmel wurde vollkommen schwarz, aber nicht für lange. Seine Farbe veränderte sich ständig: Gräulich, rötlich schimmernd und schließlich blau.
    Solange Midoris letzte Worte in Fandorins Ohren klangen (»Farewell, my love. Remember me without sadness.« 1 ), und dieses Echo währte lange, rannen aus seinen Augen ununterbrochen Tränen . Doch allmählich verlosch das Echo, und die Tränen versiegten. Fandorin lag einfach auf dem Rücken und dachte an nichts, beobachtete nur den Himmel.
    Als schwarze Wolken darüber hinzogen und das Blau verdrängten, beugte sich Tamba über den Liegenden. Womöglich war der alte Jonin schon eine Weile da, aber das wußte Fandorin nicht genau. Zumindest hatte er bislang nicht den Himmel verdeckt.
    »Es ist genug«, sagte Tamba. »Jetzt steh auf.«
    Fandorin stand auf. Warum nicht?
    »Komm.«
    Er lief los.
    Er stellte dem Alten keine Fragen, ihm war alles gleichgültig, aber Tamba redete trotzdem mit ihm. Er sagte, er habe Masa nach Tokio geschickt. Der habe seinen Herrn nur widerstrebend verlassen, aber er müsse unbedingt Tambas Neffen Den holen, den Medizinstudenten. Den sei als einziger noch übrig, abgesehen von den beiden, die im Ausland waren. Die würden auch zurückkommen, aber natürlich nicht so bald. Der Momoti-Clan habe schwere Verluste erlitten und müsse wiederbelebt werden. Vorher aber gelte es noch, mit Tsurumaki abzurechnen.
    Fandorin hörte gleichgültig zu; das alles interessierte ihn nicht.
    Auf der Lichtung, ganz in der Nähe des zerstörten Hauses, war ein riesiger Stoß Brennholz aufgeschichtet, daneben ein kleinerer. Auf dem ersten lagen in drei Reihen dicht an dicht in schwarze Lumpen gehüllte Körper. Auf dem zweiten lag etwas Weißes, Schmales.
    Fandorin sah nicht weiter hin. Im Stehen zum Himmel zu schauen war unbequem, also betrachtete er nun das Gras zu seinen Füßen.
    »Dein Diener hat stundenlang Holz gehackt und aufgeschichtet«, sagte Tamba. »Die Toten haben wir gemeinsam hergetragen. Hier liegen sie alle. Die meisten ohne Kopf, aber das ist unwichtig.«
    Er trat zum ersten Holzstoß, verbeugte sich tief und verharrte lange so. Dann entzündete er eine Fackel und hielt sie an das Holz, das sofort aufflammte – vermutlich war es mit einer Brennflüssigkeit eingesprüht.
    Ins Feuer zu sehen war besser, als das Gras anzustarren. Es wechselte ständig die Farbe, genau wie der Himmel, blieb aber dabei stets am selben Fleck. Fandorin schaute ins Feuer, bis die Leichen in Bewegung gerieten. Ein Toter krümmte sich, als wollte er sich aufsetzen. Das war unangenehm. Außerdem roch es nach verbranntem Fleisch.
    Fandorin wandte sich ab und ging beiseite.
    Das Feuer knackte und knisterte, aber er stand mit dem Rücken dazu und drehte sich nicht um.
    Nach einer Weile trat Tamba zu ihm.
    »Du darfst nicht schweigen«, bat er. »Sag etwas. Sonst findet das Ki nicht heraus, und in deinem Herzen bildet sich ein

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