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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Mylnikow.
    »Zur Gepäckannahme. Nun wird niemand das Melinit abholen.«
     
    Aber Fandorin irrte. Vor der weit offenen Tür trat der Gepäckdiener nervös von einem Bein aufs andere.
    »Und, haben Sie sie gefaßt?« fragte er Fandorin.
    »Wen denn?«
    »Ich bitte Sie! Die beiden Männer. Die das Gepäck abgeholt haben. Ich habe wie befohlen den Knopf gedrückt. Dann habe ich zuden Herren Gendarmen ins Zimmer geschaut. Ich kucke – es war leer.«
    Fandorin stöhnte auf, als hätte er heftige Schmerzen.
    »W-wann war das?«
    »Der erste kam Punkt fünf. Der zweite sieben, acht Minuten später.«
    Fandorins Uhr zeigte fünf Uhr fünfundzwanzig.
    Der Hofrat fluchte erneut, doch nun nicht mehr drohend, sondern in klagendem Moll.
    »Während wir durch Höfe und Keller gelaufen sind«, jammerte er.
    Fandorin konstatierte mit Trauerstimme: »Eine Niederlage, schlimmer als Tsushima.«
    Zweite Silbe,
durchweg der Eisenbahn
gewidmet
    Eben hier, im Flur, kam es zu einem Konflikt zwischen zwei Behörden. Fandorin, der vor Zorn seine sonstige Beherrschung eingebüßt hatte, sagte Mylnikow deutlich, was er von der Sonderabteilung hielt, die zahllose Denunzianten und Provokateure heranziehe, aber wenn es zur Sache ging, zu nichts nütze sei und nur Schaden anrichte.
    »Ihr Gendarmen seid auch gut«, gab Mylnikow bissig zurück. »Wieso haben Ihre Schlauköpfe ohne Befehl ihren Posten verlassen? Die Leute mit dem Melinit sind ihnen entwischt, wo sollen wir die nun suchen?«
    Fandorin verstummte, betroffen ob des gerechtfertigten Vorwurfs oder ob der Anrede »ihr Gendarmen«.
    »Unsere Zusammenarbeit hat nicht funktioniert.« Der Vertreterdes Polizeidepartements seufzte. »Jetzt werden Sie sich bei Ihren Vorgesetzten über mich beschweren und ich mich bei meinen über Sie. Aber mit Schreiberei ist der Sache nicht gedient. Ein schlechter Friede ist besser als ein guter Streit. Einigen wir uns doch so: Sie kümmern sich um Ihre Eisenbahn, und ich fange den Genossen Drossel. Strikt nach unser beider Funktion und Dienstvorschrift. Das wird das Beste sein.«
    Die Jagd auf Revolutionäre, die in Kontakt mit japanischen Spionen standen, schien Mylnikow offenkundig erfolgversprechender als die auf unsichtbare Saboteure auf einer acht Kilometer langen Eisenbahnstrecke.
    Doch Fandorin war der Hofrat inzwischen derartig zuwider, daß er angeekelt sagte: »Ausgezeichnet. Aber kommen Sie mir nicht mehr unter die Augen.«
    »Ein Profi kommt niemals jemandem unter die Augen«, schnurrte Mylnikow und empfahl sich.
    Erst jetzt, ärgerlich, weil er wertvolle Minuten mit sinnlosen Streitereien vergeudet hatte, ging Fandorin an die Arbeit.
    Als erstes befragte er den Gepäckdiener gründlich zu den Männern mit den Quittungen.
    Der Mann, der die acht Papierpäckchen abgeholt hatte, sei gekleidet gewesen wie ein Handwerker (kragenloses graues Hemd, Mantel, Stiefel), aber sein Gesicht habe nicht zu seiner Kleidung gepaßt – der Gepäckdiener bezeichnete es als »nicht gewöhnlich«.
    »Inwiefern ›nicht gewöhnlich‹?«
    »Ein Gebildeter. Brille, Haare bis zu den Schultern, ein Bärtchen wie ein Diakon. So sieht kein Arbeiter und kein Handwerker aus. Und krank war er. Das Gesicht ganz weiß, und dauernd hat er gehustet und sich mit einem Taschentuch die Lippen abgewischt.«
    Der zweite Abholer, der ein paar Minuten nach dem Bebrillten gekommen war, interessierte Fandorin noch mehr – das war womöglich ein Ansatzpunkt.
    Der Mann, der die drei Kisten fortgeschleppt hatte, trug eine Eisenbahn-Postuniform! Darin konnte der Gepäckdiener nicht irren, er war seit Jahren bei der Eisenbahn beschäftigt.
    Schnauzbart, breite Backenknochen, in mittleren Jahren. An seiner Hüfte baumelte ein Pistolenhalfter, was bedeutete, daß er einen Postwaggon begleitete, in dem bekanntlich auch Geld und Wertsendungen transportiert wurden.
    Fandorin witterte bereits einen Erfolg, unterdrückte diese gefährliche Regung jedoch und fragte Oberstleutnant Danilow, der soeben am Ort des Geschehens eingetroffen war: »Sind in den letzten zwanzig Minuten, nach halb sechs, Züge abgegangen?«
    »Jawohl, der nach Charbin. Vor zehn Minuten.«
    »Darin sitzen sie, die Guten. Alle beide«, erklärte Fandorin überzeugt.
    Danilow fragte zweifelnd: »Vielleicht sind sie ja in die Stadt zurückgekehrt? Oder warten auf den nächsten Zug, den nach Pawelezk? Der geht um sechs Uhr fünfundzwanzig.«
    »Nein. Sie waren nicht zufällig fast zur selben Zeit hier, im Abstand von wenigen

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