Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
in der Brust wurde. Seine gelben Augen erschienen ihr nun nicht mehr katzenhaft, wie zu Beginn ihrer Bekanntschaft – sie bezeichnete ihre Farbe im stillen als »kaffeebraun« und fand sie sehr ausdrucksvoll.
    »Sie sind wie die Schwanenkönigin.« Er lächelte. »›Lasse nur das Trauern sein, denn um unsrer Freundschaft willen werd ich dir den Wunsch erfüllen.‹« 4
    Glikerija verzog das Gesicht.
    »Puschkin? Den kann ich nicht ausstehen!«
    »Wie das? Liebt denn nicht jeder Russe Puschkin?«
    Rybnikow stockte, weil er sich vor Verblüffung ungeschickt ausgedrückt hatte, aber Glikerija ignorierte den merkwürdigen Satz.
    »Wie konnte er schreiben: ›Und wie dein Tod erfüllt nicht minder auch mich mit Schadenfreude fast das blut’ge Ende deiner Kinder‹ 5 ?« Was ist das für ein Poet, den der Tod von Kindern freut! Von wegen ›des Glückes Frühlingssonne‹ 6 !«
    Sie wechselten von ihrem ernsten Gesprächsthema zur russischen Poesie, in der Rybnikow sich recht gut auskannte. Er sagte, das habe ihm sein Vater in der Kindheit anerzogen, ein glühender Anhänger der Puschkinschen Poesie.
    Dann kam der 25. Mai, und Rybnikow vergaß das unwesentliche Gespräch – es gab Wichtigeres zu tun.
     
    Die Strohmänner sollten das Gepäck im Morgengrauen abholen, kurz vor der Abfahrt. Tunnel sollte die drei Kisten in Leinwand nähen, mit einem Siegel versehen und zwischen den Paketen verstecken – dort waren sie am sichersten aufgehoben. Für Brücke hatte Rybnikow die halbe Arbeit bereits erledigt: Das Melinit war in acht Pappschachteln verpackt und mit anthrazitgrauem Papier umwickelt.
    Beide fuhren mit demselben Expreßzug gen Osten, Brücke mit einer Eisenbahnerfahrkarte Dritter Klasse, Tunnel im Postwaggon. Dann trennten sich ihre Wege. Brücke würde in Sysran in einen Güterzug umsteigen, und zwar nicht als Reisender, sondern auf die Lokomotive, und mitten auf der Wolga eine Schachtel in die Feuerung werfen. Tunnel dagegen würde weiterfahren bis zum Baikal.
    Der Ordnung halber wollte Rybnikow die Abholung des Gepäcks persönlich überwachen – natürlich ohne daß die beiden ihn sahen.
    Am frühen Morgen verließ er das Pensionat, gekleidet à la kleiner Mann: schräg aufgesetzte Ballonmütze, Russenhemd unterm Jackett.
    Er warf einen flüchtigen Blick auf den rosigen Horizont und trottete, seiner Rolle entsprechend, wie ein Straßenköter den Tschistoprudny hinunter.

SIMO-NO-KU
    Erste Silbe,
in welcher eiserne Sterne
vom Himmel fallen
    Der mutmaßliche Japaner war also entwischt, und Drossel wurde von der Geheimpolizei überwacht, weshalb die Petersburger sich ganz auf die Gepäckaufbewahrung konzentrierten. Das Gepäck war für vierundzwanzig Stunden aufgegeben, was bedeutete, daß es bald abgeholt werden mußte, spätestens gegen Mittag.
    Fandorin und Mylnikow saßen seit dem Abend in ihrem Versteck. Wie schon erwähnt, waren in unmittelbarer Nähe der Gepäckaufbewahrung Eisenbahngendarmen postiert, und über den Bahnhofsvorplatz schlenderten ständig wechselnde Agenten. Die Leiter der Operation hatten sich mit einigem Komfort eingerichtet – im Kontor »Bestattungsinstitut Ljapunow« gleich gegenüber vom Bahnhof. Von hier aus hatte man einen vorzüglichen Blick, sehr praktisch war dabei das Schaufenster aus amerikanischem Glas – die schwarze Scheibe war nur in eine Richtung lichtdurchlässig.
    Lampen zündeten die beiden Männer nicht an, das war auch nicht nötig, denn ganz in der Nähe brannte eine Straßenlaterne. Die nächtlichen Stunden schleppten sich dahin.
    Hin und wieder klingelte das Telefon – die Untergebenen meldeten, das Netz sei ausgelegt, alle Männer an ihrem Platz, die Wachsamkeit ungebrochen.
    Alles, was den Fall betraf, hatten Fandorin und Mylnikow bereits besprochen, ein Gespräch über andere Dinge aber kam nicht recht in Gang – zu verschieden waren ihre Interessen.
    Fandorin machte das nichts aus, für ihn war Schweigen nicht belastend, der Hofrat aber litt darunter.
    »Haben Sie den Grafen Loris-Melikow gekannt?« fragte er.
    »Aber ja«, antwortete Fandorin – mehr nicht.
    »Es heißt, er sei ein Mann von großem Verstand gewesen, obwohl er Armenier war.«
    Schweigen.
    »Worauf ich hinauswill: Ich habe gehört, Seine Erlaucht hatte, bevor er in Pension ging, ein langes Gespräch unter vier Augen mit Alexander dem Dritten, er äußerte verschiedene Prognosen und Vorschläge zur Verfassung, zu gesetzlichen Erleichterungen für Fremde, zur Außenpolitik. Aber der selige

Weitere Kostenlose Bücher