Diamantene Kutsche
erregt.
»Wie eine Katze auf dem Zaun! Jetzt haben wir ihn!«
Plötzlich rief Fandorin: »Ein Shuriken!«
Er schleuderte das Fernglas beiseite, rannte auf die Straße und schrie: »Vorsicht!«
Doch zu spät.
Der Akrobat auf dem Dach drehte sich um seine eigene Achse und holte mit dem Arm weit aus – als wolle er die Agenten nach allen Himmelsrichtungen segnen. Einer nach dem anderen stürzten Mylnikows »Adler« wie gefällte Bäume zu Boden.
In der nächsten Sekunde sprang der Spion weich wie eine Katze vom Dach und rannte die Straße hinunter zu einem nahegelegenen Torweg.
Fandorin lief ihm nach. Der Hofrat, der im ersten Augenblick erstarrt war, stürzte hinterher.
»Was ist das? Was ist das?« brüllte er.
»Er entkommt!« stöhnte Fandorin.
»Ich werd ihm was husten!«
Mylnikow riß seinen Revolver heraus und eröffnete wie ein wahrer Meisterschütze mitten im Lauf das Feuer. Mylnikow hatte allen Grund, stolz zu sein auf seine Zielsicherheit, ein bewegliches Ziel traf er aus fünfzig Schritt Entfernung normalerweise auf Anhieb, diesmal aber schoß er die ganze Trommel vergeblich leer. Der verdammte Japaner lief irgendwie seltsam, mal in schrägen Sprüngen, dann wieder im Zickzack – wie sollte man da treffen!
»Mistkerl!« Mylnikow ließ den Schlagbolzen gegen die leergeschossene Hülse klacken. »Nun schießen Sie doch, worauf warten Sie!«
»Z-zwecklos.«
Auf die Schüsse hin kamen die Gendarmen aus ihren Verstecken gelaufen. Unter den Schaulustigen brach Panik aus – Menschen schrien, schubsten einander, schwangen Regenschirme. Von mehreren Seiten ertönten die Pfiffe von Schutzmännern. Der Flüchtige war indessen bereits im Torweg verschwunden.
»Die Gasse entlang, die Gasse!« befahl Fandorin den Gendarmen. »Links!«
Die Blauröcke rannten um das Haus herum, Mylnikow kletterte wild fluchend über die Feuerleiter aufs Dach, Fandorin aber blieb stehen und schüttelte resigniert den Kopf.
An der weiteren Suche beteiligte er sich nicht. Er sah zu, wie Gendarmen und Polizisten aufgescheucht umherliefen, vernahm Mylnikows Geschrei vom Dach und ging zurück zum Bahnhofsplatz.
Vor dem Zeitungskiosk standen Gaffer versammelt, dazwischen blitzte die weiße Mütze eines Reviervorstehers.
Als Fandorin näher kam, hörte er eine tönende Greisenstimme orakeln: »Der Prophet sagt: Eiserne Sterne werden vom Himmel fallen und die Sünder fällen …«
Mürrisch befahl Fandorin dem Reviervorsteher: »Die Zuschauer wegschaffen.«
Obgleich Fandorin in Zivil war, erkannte der Polizist an seinem Ton, daß er hier Befehlsgewalt hatte, und blies sofort in seine Pfeife.
Unter drohenden Ausrufen »Weg da! Wo willst du hin?« umrundete Fandorin das Schlachtfeld.
Alle vier Agenten waren tot und lagen in der gleichen Haltung auf dem Rücken. In ihrer Stirn, tief im Stirnbein, steckte ein eiserner Stern mit scharfen, blitzenden Zacken.
»Mein Gott!« Mylnikow, der herangekommen war, bekreuzigte sich.
Er schluchzte auf, hockte sich vor einen der Toten und wollte das Eisen aus dem Kopf ziehen.
»Nicht anfassen! Die Spitzen sind mit G-gift bestrichen.«
Mylnikow riß die Hand zurück.
»Was ist das für ein Teufelszeug?«
»Ein Shuriken. Eine Wurfwaffe der Schattenkrieger. Das ist eine Sekte gebürtiger Spione.«
»Spione von Geburt?« Der Hofrat zwinkerte verblüfft. »So wie unser Rykalow bei der Kriminalabteilung? Schon sein Großvater hat in der Geheimkanzlei gedient, unter Katharina der Großen.«
»So ähnlich. Darum ist er also auf den Kiosk gesprungen …«
Den letzten Satz hatte Fandorin zu sich selbst gesagt, aber Mylnikow hakte ein: »Wozu denn?«
»Damit er seine Sterne auf unbewegliche Ziele werfen konnte. Von wegen ›Katze auf dem Zaun‹! Da haben Sie ganz schön was angerichtet, Mylnikow.«
»Was macht das schon.« Mylnikow rannen Tränen über die Wangen. »Ist nicht das erste Mal, dafür werde ich geradestehen. Aber um meine Leute tut’s mir leid. Gute Männer, einer wie der andere. Sjablikow, Raspaschnoi, Kassatkin, Möbius …«
Von den Tatarskije-Straßen her kam in rasendem Tempo eine Kutsche heran, aus der ein blasser Mann mit Hut sprang und schon von weitem rief: »Jewstrati Pawlowitsch! Ein Unglück! Drossel ist weg! Verschwunden!«
»Und unser Mann?«
»Wurde mit einem Messer in der Brust gefunden!«
Der Hofrat stieß einen so saftigen Fluch aus, daß die Menge respektvoll raunte: »Klare Worte.«
Fandorin aber eilte in Richtung Bahnhof.
»Wo wollen Sie hin?« rief
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