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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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mit weit aufgerissenen Mündern umher.
    »Er hat einen Revolver. Und eine Bombe«, berichtete Lenz hastig. »Er hat wohl gedacht, wir sind rausgelaufen, um ihn festzunehmen …Er hat dem Schaffner die Schlüssel weggenommen und beide Türen abgeschlossen. Da drin sind etwa vierzig Personen. Er schreit: ›Wenn ihr näher kommt, jage ich alle in die Luft!‹«
    Tatsächlich drang aus dem Waggon ein durchdringender Schrei: »Zurück! Wenn sich einer rührt, jage ich alle in die Luft!«
    »Aber bisher hat er es nicht getan«, sagte Fandorin nachdenklich. »Obwohl er gekonnt hätte. Folgendes, Rittmeister: Rasch alle Kisten aus dem Postwaggon ausladen. Welche unsere sind, sehen wir dann. Beim Tragen äußerste V-vorsicht. Wenn eine d-detoniert, können Sie anschließend einen neuen Bahnhof bauen. Das heißt, Sie natürlich nicht mehr. Bleiben Sie hier. Das mache ich selbst.«
    Geduckt lief Fandorin am Zug entlang bis zu dem Fenster, hinter dem soeben gedroht worden war, alle in die Luft zu jagen. Es war als einziges halb offen.
    Fandorin klopfte diskret gegen die Wand: Poch-poch-poch.
    »Wer da?« reagierte eine erstaunte Stimme.
    »Ingenieur Fandorin. Erlauben Sie, daß ich eintrete?«
    »Wozu das?«
    »Ich m-möchte gern mit Ihnen reden.«
    »Aber ich jage hier gleich alle in die Luft«, sagte die Stimme verständnislos. »Haben Sie das etwa nicht gehört? Und dann, wie wollen Sie denn reinkommen? Ich öffne auf keinen Fall die Tür.«
    »Das macht nichts, seien Sie unbesorgt. Ich komme durchs Fenster, aber schießen Sie bitte nicht.«
    Fandorin zog sich geschickt hoch, schob sich bis zur Schulter durchs Fenster, wartete eine Weile, damit der Bombenwerfer seine ehrwürdigen grauen Schläfen registrieren konnte, und glitt erst dann ganz langsam in den Waggon.
    Die Sache stand schlecht: Der Bebrillte hatte einen Revolver im Gürtel und in der Hand ein schwarzes Päckchen, in dem seine Finger steckten – vermutlich umklammerten sie den gläsernen Zünder. Ein leichter Druck, und die Mine ging hoch, und danach auchdie anderen sieben. Sie lagen auf der obersten Pritsche, in Sackleinen gehüllt.
    »Sie sehen nicht aus wie ein Ingenieur«, sagte der totenblasse junge Mann und musterte die staubigen Kleider des falschen Packers.
    »Und Sie sehen nicht aus wie ein P-proletarier«, parierte Fandorin.
    In dem Waggon gab es keine Coupés, er bestand aus einem langen Gang mit Holzbänken rechts und links. Im Gegensatz zu den kreischenden Leuten draußen auf dem Bahnsteig waren die Geiseln still – sie spürten die Nähe des Todes. Irgendwo murmelte lediglich eine weinerliche Frauenstimme ein Gebet.
    »Sei still, Idiotin, ich jage gleich alles in die Luft!« schrie der Jüngling in drohendem Baß, und das Gebet brach ab.
    Er ist gefährlich, äußerst gefährlich, entschied Fandorin nach einem Blick in die geweiteten Augen des Terroristen. Das ist kein Getue, keine Hysterie – er wird tatsächlich alles in die Luft jagen.
    »Weshalb die Verzögerung?« erkundigte sich Fandorin.
    »He?«
    »Ich sehe doch, Sie haben keine Angst vor dem Tod. Also, warum zögern Sie dann? Warum drücken Sie nicht den Zünder? Irgend etwas hält Sie zurück. Was?«
    »Sie sind komisch.« Der Bebrillte leckte sich die weißen Lippen. »Aber Sie haben recht. Es ist alles falsch. Das sollte ganz anders laufen. Nun gehe ich billig drauf. Ärgerlich. Und sie bekommt die Zehntausend nicht …«
    »Wer – Ihre Mutter? Von wem bekommt sie die nicht, von den Japanern?«
    »Ach was, Mutter!« widersprach der Jüngling heftig. »Ach, ich hatte mir alles so schön ausgedacht! Sie hätte sich den Kopf zerbrochen: Von wem, woher? Und dann hätte sie es erraten und mein Andenken gesegnet. Rußland hätte mich verflucht, aber sie hätte mich gesegnet!«
    »Die Frau, die Sie lieben?« Fandorin nickte; er begriff allmählich. »Sie ist unglücklich, unfrei, und dieses Geld hätte sie gerettet, ihr erlaubt, ein neues Leben anzufangen, ja?«
    »Ja! Sie haben keine Ahnung, wie widerwärtig dieses Samara ist! Und ihre Eltern, ihre Brüder! Vieh, richtiges Vieh! Mag sie mich nicht lieben, bitte! Warum sollte sie auch einen lebenden Leichnam lieben, der sich die eigene Lunge aus dem Leib hustet? Aber ich reiche ihr auch aus dem Jenseits die Hand, ziehe sie raus aus dem Sumpf … Das heißt, das hätte ich …«
    Der junge Mann stöhnte und begann derartig zu zittern, daß das schwarze Papier in seiner Hand raschelte.
    »Sie wird das Geld nicht bekommen, weil Sie die Brücke

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