Diamantene Kutsche
sie, aus irgendeinem Grund im Flüsterton.
»Ich glaube, der Transformator ist durchgebrannt. Was ist denn passiert?«
»Aber Sie haben doch Kerzen?« fragte sie, während sie hereinkam, und erzählte ihm sofort aufgeregt und sich verhaspelnd die schlechte Nachricht: Wie sie zufällig bei Bekannten den Beamten kennengelernt habe, der die Untersuchung leite, und daß dieser Mann Wassili Alexandrowitsch für einen japanischen Spion halte.
»Sie müssen ihm erklären, daß Ihnen die Zeichnung gestohlen wurde! Ich bin Ihre Zeugin, ich erzähle ihm von dem Kerl im Zug! Sie haben keine Vorstellung, was für ein Mensch dieser Fandorin ist. Ein sehr ernster Herr, mit Augen wie Eis! Soll er den Schwarzhaarigen suchen, nicht Sie! Am besten, ich erzähle ihm das alles selbst, ja?«
Rybnikow hörte sich ihren zusammenhanglosen Bericht schweigend an und zündete nacheinander die Kerzen in den Kandelabern an. Im zitternden Licht wirkte er so erschöpft, unglücklich und gehetzt, daß es Glikerija vor Mitleid die Kehle zuschnürte.
»Ich tue alles für Sie! Ich lasse Sie nicht im Stich!« rief sie und griff hastig nach seinen Händen.
Er zuckte zurück, in seinen Augen blitzten seltsame Funken, dieihn vollkommen veränderten. Dieses Gesicht wirkte nicht mehr mitleiderregend, o nein! Schwarzrote Schatten huschten darüber, und er erinnerte nun an Wrubels Dämon.
»Mein Gott, Liebster, ich liebe Sie doch …«, stammelte die Lidina, erschüttert von dieser Offenbarung. »Wie konnte ich … Sie sind das Teuerste, was ich habe!«
Sie streckte ihm die Hände entgegen, das Gesicht, ihren ganzen Körper, bebend und erwartungsvoll.
Der Stabskapitän gab einen Laut von sich, der wie ein Knurren klang, und wich zurück.
»Gehen Sie«, sagte er heiser. »Gehen Sie unverzüglich.«
Glikerija Lidina erinnerte sich hinterher nicht, wie sie auf die Straße gerannt war.
Eine Zeitlang stand Rybnikow unbewegt in der Diele und starrte mit leblosem Blick in die Kerzenflammen.
Dann klopfte es leise an der Tür.
Mit einem Satz sprang er hin und riß sie auf.
Auf der Treppe stand die Gräfin.
»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte sie und schaute forschend in die Dunkelheit. »Es ist heute sehr laut bei mir, und ich wollte fragen, ob meine Gäste Sie auch nicht belästigen. Ich könnte sagen, daß eine Klaviersaite gerissen ist, und das Grammophon im kleinen Salon aufziehen. Das wäre leiser …«
Plötzlich spürte die Gräfin Bovada etwas Ungewöhnliches im Verhalten ihres Untermieters und verstummte mitten im Wort.
»Warum sehen Sie mich so an?«
Rybnikow griff wortlos nach ihrer Hand und zog sie an sich.
Die Gräfin war eine kaltblütige und äußerst erfahrene Frau, doch nun war sie vor Überraschung ganz verwirrt.
»Komm!« Der verwandelte Rybnikow riß sie mit sich.
Sie folgte ihm ungläubig lächelnd.
Doch als Rybnikow sich mit dumpfem Stöhnen an ihr festsaugte und sie in seinen starken Armen preßte, wandelte sich das Lächeln auf dem vollen, schönen Gesicht der Witwe des spanischen Grande erst zu Erstaunen, dann zu einer Grimasse der Leidenschaft.
Eine halbe Stunde später war die Gräfin nicht wiederzuerkennen. Sie weinte an der Schulter des Geliebten und flüsterte Worte, die sie viele Jahre, seit ihrer Jungmädchenzeit, nicht ausgesprochen hatte.
»Wenn du wüßtest, wenn du wüßtest«, sagte sie immer wieder, doch was genau er wissen sollte, konnte sie nicht erklären.
Rybnikow hatte Mühe, sie loszuwerden.
Endlich erneut allein, setzte er sich in einer unbequemen, verschlungenen Pose auf den Fußboden und verharrte so genau acht Minuten. Dann stand er auf, schüttelte sich wie ein Hund und erledigte einen Anruf – genau dreißig Minuten vor Mitternacht, wie verabredet.
Zur selben Zeit stand am anderen Ende des Boulevards die Lidina, noch immer in Cape und Hut, in ihrer Diele vorm Spiegel und weinte bitterlich.
»Es ist aus … Mein Leben ist zu Ende«, flüsterte sie. »Niemand braucht mich, niemand …«
Sie schwankte, stieß mit dem Fuß gegen etwas Raschelndes und schrie auf. Der ganze Fußboden war übersät mit einem lebendigen Teppich aus roten Rosen. Wäre ihre Nase nicht vom Schluchzen verstopft gewesen, hätte sie den betäubenden Duft bereits auf der Treppe wahrgenommen.
Aus der dunklen Tiefe der Wohnung drangen, zunächst einschmeichelnd, dann immer kräftiger, betörende Laute. Eine wundervolle Stimme sang die Serenade des Grafen Almaviva: »Ecco, ridente in cielo spunta la bella
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