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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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sie ihn gar nicht an, sondern entfaltete ihren Liebreiz vor dem bestaussehenden Gast, einem Gardekavalleristen, dem Adjutanten des Generalgouverneurs.
    Dann sang sie auf Bitte des Gastgebers widerstrebend die frivole Romanze »Geh nicht fort, bleib noch bei mir« des Herrn Poigin, wozu sie sich selbst auf dem Flügel begleitete. Ihre Stimme war nicht stark, aber von sehr hübschem Klang und ließ keinen Mann unbeeindruckt. Bei der leidenschaftlichen Verheißung von »Labsal und Ermattung feuriger Umarmung« blickte sie der Reihe nach alle Männer an, bis auf Fandorin.
    Als das Objekt ihrer Meinung nach reif – also genügend interessiert und gekränkt – sein mußte, wollte Glikerija ihm den letzten Stoß versetzen und steuerte schon auf das Sofa zu, auf dem Fandorin allein saß, doch der Gastgeber kam ihr zuvor.
    Er trat zu Fandorin und verwickelte ihn in langweilige Dienstgespräche.Er lobte einen Eisenbahn-Stabsrittmeister Lissizki, der kürzlich einen interessanten Vorschlag unterbreitet habe – einen ständigen Posten in der städtischen Telefonstation einzurichten.
    »Eine ausgezeichnete Idee von Ihrem Untergebenen«, kollerte der General. »Ein Gendarm von echtem Schrot und Korn! Nicht die Staffagen aus dem Departement sind auf diese Idee gekommen, sondern unsere Leute! Ich habe schon angewiesen, die nötigen Geräte und einen Raum dafür bereitzustellen. Lissizki sagt, die Idee, Telefone zu belauschen, stamme von Ihnen.«
    »Nicht ›belauschen‹, sondern ›abhören‹. Außerdem übertreibt d-der Stabsrittmeister in seiner B-bescheidenheit«, sagte Fandorin unwillig. »Ich habe damit nichts zu tun.«
    »Vielleicht könnten Sie ihn mir für die erste Zeit ausleihen? Ein tüchtiger Offizier.«
    Seufzend begriff Glikerija, daß sie ihre Attacke auf einen günstigeren Zeitpunkt verschieben mußte.
    Der trat ein, als die Männer vor der Mahlzeit nach neumodischem Brauch ins Rauchzimmer hinübergingen. Glikerija hatte sich inzwischen als unumstrittene Königin des Abends etabliert, und ihr Objekt war sich vermutlich bewußt, der reizloseste der anwesenden Kavaliere zu sein. Fandorin, der verstohlen zur Uhr schaute, schien von der Soiree nichts Interessantes mehr zu erwarten und überlegte offenbar, wann er mit Anstand aufbrechen konnte.
    Es war Zeit!
    Rasch (zögern war nun unangebracht) steuerte sie auf den Graumelierten zu, der ein würziges Zigarillo paffte, und erklärte: »Ich weiß es wieder! Ich erinnere mich, wo ich Sie schon einmal gesehen habe! Bei der gesprengten Brücke. Ein so markantes Gesicht vergißt man nicht so leicht.«
    Der Untersuchungsführer (oder wie er sonst in seiner Behörde genannt wurde) zuckte zusammen und starrte Glikerija aus leichtzusammengekniffenen blauen Augen an – die zugegebenermaßen sehr gut zu seinem graumelierten Haar paßten. Kein Wunder, daß er zusammenzuckte – bei einem solchen Kompliment, das zudem völlig überraschend war.
    »In der Tat«, sagte er langsam und erhob sich. »Ich erinnere m-mich ebenfalls. Ich glaube, Sie waren nicht allein, sondern in B-begleitung eines Offiziers.«
    Glikerija winkte achtlos ab. »Ein Bekannter.«
    Es war zu früh, das Gespräch auf Wassja zu bringen. Nicht, daß sie einen präzisen Plan für ihr Vorgehen hatte, sie gehorchte einzig ihrer Intuition, aber man durfte einem Mann auf keinen Fall zeigen, daß man etwas von ihm wollte. Er mußte überzeugt sein, daß er etwas von ihr wollte und es ganz in ihrer Macht stand, es ihm zu gewähren oder nicht. Man mußte zuerst Hoffnung säen, sie wieder zunichte machen und dann die Nüstern des Objekts erneut mit bezaubernden Düften reizen.
    Eine kluge Frau, die einen Mann an sich binden will, spürt stets, zu welchem Typ er gehört: Ob er einer ist, den man schließlich sättigen muß, oder einer, der stets hungrig bleiben muß, um gezähmt zu werden.
    Nachdem sie Fandorin aus der Nähe betrachtet hatte, wußte Glikerija, daß er nicht zu den platonischen Bewunderern gehörte. Wenn man ihn zu lange an der Nase herumführte, zuckte er die Achseln und verschwand.
    Damit wurde die Frage von einer rein taktischen zur moralischen und konnte ohne Umschweife (und Glikerija bemühte sich um restlose Aufrichtigkeit) folgendermaßen formuliert werden: Kann ich im Flirt mit diesem Mann bis zum bitteren Ende gehen – um Wassjas Rettung willen?
    Ja, sie war zu diesem Opfer bereit. Bei diesem Gedanken empfand sie eine Art Rührung, beeilte sich aber zugleich, eine solche Handlungsweise zu

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