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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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geradezu, eine links und eine rechts.
    Er bedeutete seinen Männern: du geradeaus, du hier, du da, aber psst!
    Er selbst blieb mit Lepinsch und Sapljukin in der Diele, bereit, durch die Tür zu stürzen, hinter der das verabredete Zeichen ertönen würde: ein Mäusepiepsen.
    Vor Spannung ganz zusammengekrümmt, standen sie da und warteten.
    Eine Minute verging, eine zweite, eine dritte, eine fünfte.
    Aus der Wohnung drangen undefinierbare nächtliche Geräusche, hinter einer Wand spielte ein Grammophon. Plötzlich schlug eine Uhr Mitternacht – so überraschend und so laut, daß Mylnikow beinahe das Herz aus dem Hals sprang.
    Was machten sie da drin so lange? Sie sollten doch nur reinschauen, sich kurz umsehen – eine Sache von einer Minute. Hatte sie der Erdboden verschluckt?
    Mylnikow spürte plötzlich, daß sein Jagdfieber verschwunden war. Auch sein Eifer war wie weggeblasen – statt dessen rannen ihmwiderliche eisige Schauer über den Rücken. Die verdammten Nerven! Wenn ich den Japaner gefaßt habe, dann geht’s ab in ein Heilbad, versprach Mylnikow sich selbst.
    Er winkte den Agenten, sie sollten sich nicht von der Stelle rühren, und steckte vorsichtig die Nase durch die linke Tür.
    Absolute Stille. Das Zimmer war leer, wie Mylnikow sich mit
    Hilfe seiner Taschenlampe überzeugte. Also mußte es einen Durchgang zum Nebenraum geben.
    Lautlos glitt er über das Parkett in die Mitte des Zimmers.
    Teufel noch mal! Tisch, Sessel, Fenster. An der Wand gegenüber dem Fenster ein Spiegel. Keine zweite Tür – und auch kein Mandrykin.
    Er wollte sich bekreuzigen, doch der Knüppel in seiner Hand störte.
    Mylnikow fühlte kalten Schweiß auf seine Stirn treten und kehrte in die Diele zurück.
    »Und?« fragte Sapljukin nur mit den Lippen.
    Der Hofrat winkte ab. Er schaute in das rechte Zimmer.
    Es sah genauso aus wie das linke – die gleichen Möbel, ein Spiegel, ein Fenster.
    Und keine Menschenseele!
    Mylnikow sank auf alle viere und leuchtete unter den Tisch, obwohl die Annahme, daß der Agent mit ihm Versteck spielen wollte, absurd war.
    Auf dem Rückweg in die Diele murmelte er: »Herr im Himmel, Allmächtiger!«
    Er stieß die Agenten beiseite und stürzte zu der Tür in der Mitte – diesmal nicht mit dem Knüppel in der Hand, sondern mit einem Revolver.
    Dies war ein Schlafzimmer. In der Ecke ein Waschtisch, hinter einem Vorhang eine Wanne, ein Toilettenbecken und ein weiteres am Boden festgeschraubtes Porzellanbecken.
    Keine Menschenseele! Höhnisch grinste der gezackte Mond ins Fenster.
    Mylnikow drohte ihm mit dem Revolver. Er riß polternd alle Schranktüren auf, blickte unters Bett und sogar unter die Wanne.
    Der Japaner war verschwunden. Und hatte drei von Mylnikows besten Agenten mitgenommen.
    Mylnikow bangte, sein Verstand könnte sich getrübt haben. Er brüllte hysterisch: »Sapljukin! Lepinsch!«
    Da die Agenten nicht antworteten, rannte er hinaus in die Diele.
    Aber auch dort war niemand mehr.
    »Heiliger Jesus!« rief der Hofrat, warf den Revolver weg und bekreuzigte sich mit ausholender Geste. »Zerstreue den Spuk des japanischen Teufels!«
    Als das dreimal wiederholte Kreuzzeichen nicht fruchtete, begriff Mylnikow endgültig, daß der Japanische Gott stärker war als der russische, und sank vor Seiner Schlitzäugigkeit auf die Knie.
    Er schlug mit der Stirn auf den Boden und kroch zur Haustür, wobei er laut jaulte: »Bansai, bansai, bansai!«
    Letzte und längste Silbe
    Daß er sie nicht gleich erkannt hatte! Natürlich, er war müde gewesen, zermürbt von Langeweile und hatte ungeduldig den Moment herbeigesehnt, da er endlich gehen konnte. Außerdem hatte sie natürlich ganz anders ausgesehen: Damals im Morgengrauen, an der zerstörten Brücke, war sie blaß und erschöpft gewesen und ihr Kleid naß und zerrissen, diesmal dagegen hatte sie zarte, gepflegte Schönheit ausgestrahlt, zudem hatte ein Schleier ihr Gesicht verhüllt. Trotzdem – ein schöner Detektiv war er!
    Erst als sie auf ihn zutrat und die Brücke erwähnte, traf es Fandorin wie ein Donnerschlag: Er erkannte sie, erinnerte sich an ihreAussage, die den verheerenden, beschämenden Fehler zur Folge hatte, und vor allem erinnerte er sich an ihren Begleiter.
    Als Fandorin am Moskauer Güterbahnhof den Empfänger des Melinits durchs Fernglas beobachtet hatte, war er sofort sicher gewesen, ihn schon einmal gesehen zu haben, doch verwirrt durch die japanischen Gesichtszüge hatte er geglaubt, der Spion habe Ähnlichkeit mit

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