Diamantene Kutsche
einem Bekannten aus seiner lange zurückliegenden Zeit in Japan. Dabei war es viel einfacher! Diesen Mann hatte er in einer schmutzigen Stabskapitänsuniform am Unglücksort gesehen!
Nun rückte alles an seinen Platz.
Den Militärtransport hatte der Akrobat gesprengt, wie ihn Mylnikow treffend getauft hatte. Der japanische Saboteur war mit dem Kurierzug gefahren, begleitet von seiner Komplizin – ebenjener Lidina. Wie geschickt sie die Gendarmen auf eine falsche Fährte gesetzt hatte!
Und nun wollte der Feind denjenigen treffen, der ihn jagte. Ein beliebter Trick der Sekte der Schattenkrieger hieß »Das Kaninchen frißt den Tiger«. Nun, es gab auch ein russisches Sprichwort: »So fängt die Maus die Katze.«
Glikerijas Vorschlag, zu ihr zu fahren, überraschte Fandorin nicht – er hatte mit etwas Derartigem gerechnet. Dennoch war er innerlich angespannt und fragte sich: Würde er allein mit dem gefährlichen Gegner fertig werden?
Wenn nicht, dann ist das eben mein Karma, dann müssen sie ohne mich weiterkämpfen, dachte Fandorin philosophisch und fuhr mit.
Doch im Haus in der Ostoshenka ließ er äußerste Vorsicht walten. Karma hin oder her – er hatte nicht die Absicht, sich widerstandslos besiegen zu lassen.
Um so größer war seine Enttäuschung, als er feststellte, daß der Akrobat nicht in der Wohnung war. Deshalb machte er keine Umstände mehr – er mußte die zweifelhafte junge Dame aufklären, hier und jetzt.
Sie war keine Agentin, das begriff er sofort. Wenn sie eine Komplizin war, dann unfreiwillig oder unwissentlich. Sie wußte zwar, wo der Akrobat zu finden war, doch das würde sie auf keinen Fall sagen, denn sie war bis über beide Ohren in ihn verliebt. Sollte Fandorin sie etwa foltern?
Da fiel sein Blick auf den Telefonapparat, und augenblicklich hatte er eine Idee. Ein Spion dieses Kalibers verfügte auf jeden Fall über eine Telefonverbindung für Notfälle.
Fandorin schüchterte die Lidina möglichst furchterregend ein, rannte die Treppe hinunter, nahm eine Droschke und ließ sich im Eiltempo zur Zentralen Telefonstation fahren.
Lissizki hatte sich am neuen Ort behaglich eingerichtet. Die Telefonfräuleins hatten ihn mit bestickten Deckchen beschenkt, auf dem Tisch standen eine Schale mit hausgebackenen Keksen, Konfitüre und ein Teekännchen. Der brave Rittmeister schien hier beliebt zu sein.
Als er Fandorin erblickte, sprang er auf, riß sich den Kopfhörer herunter und rief begeistert: »Erast Petrowitsch, Sie sind ein wahres Genie! Ich sitze den zweiten Tag hier und sage das immer wieder! Ihren Namen sollte man mit goldenen Lettern in die Annalen der Polizeigeschichte einschreiben! Sie können sich nicht vorstellen, wieviel Interessantes und Pikantes ich in diesen zwei Tagen erfahren habe!«
»K-kann ich nicht«, unterbrach ihn Fandorin. »Welche Nummer hat die Wohnung drei im Bomse-Haus in der Ostoshenka?«
»Augenblick.« Lissizki schaute ins Telefonbuch. »37-82.«
»Überprüfen Sie die Anrufe von dieser Nummer in der letzten Viertelstunde. B-beeilung!«
Der Stabsrittmeister rannte wie der Blitz aus dem Zimmer und war nach drei Minuten wieder zurück.
»Die Nummer 114-22. Das ist das Pensionat ›Saint-Saëns‹ aufdem Tschistoprudny-Boulevard, das habe ich schon überprüft. Ein kurzes Gespräch, nur eine halbe Minute.«
»Also hat sie ihn nicht erreicht«, murmelte Fandorin. »Was ist das für ein Pensionat? Zu meiner Zeit gab es das noch nicht. Eine Lehranstalt?«
»Gewissermaßen.« Lissizki lachte. »Eine Schule der zarten Leidenschaften. Ein bekanntes Etablissement, gehört einer gewissen Gräfin Bovada. Eine hochinteressante Person, tauchte im Zusammenhang mit einem Fall mal bei uns auf. Auch bei der Geheimpolizei ist sie gut bekannt. Ihr richtiger Name ist Anfissa Minkina. Ihre Biographie taugt für einen echten Abenteuerroman. Sie ist in der ganzen Welt herumgekommen. Eine zwielichtige Person, aber man duldet sie, weil sie den entsprechenden Behörden hin und wieder einen Dienst erweist. Intimer, aber nicht unbedingt sexueller Art.« Der fröhliche Stabsrittmeister lachte erneut. »Ich habe die Leitung des Pensionats anzapfen lassen. Beide Anschlüsse, die es dort gibt. War das richtig?«
»P-prima. Bleiben Sie sitzen und hören Sie zu. Ich erledige inzwischen einen Anruf.«
Fandorin rief in seiner Wohnung an und befahl seinem Kammerdiener, in den Tschistoprudny-Boulevard zu fahren und dort ein bestimmtes Haus zu beobachten.
Nach kurzem Zögern
Weitere Kostenlose Bücher