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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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rechtfertigen.
    Erstens wäre das keine Sünde, sondern reine Selbstaufopferung – und zwar nicht einmal aus leidenschaftlicher Verliebtheit, sondern aus uneigennütziger erhabener Freundschaft.
    Zweitens geschah das Astralow ganz recht, er hatte es verdient.
    Wäre Fandorin allerdings fett gewesen, hätte er Warzen gehabt und Mundgeruch, hätte von einem derartigen Opfer nicht die Rede sein können, doch der Untersuchungsführer mit den englischen Manieren war, wenngleich nicht mehr jung, durchaus anziehend. Ja, sogar mehr als das!
    Dieser ganze Wirbelsturm von Gedanken jagte innerhalb einer Sekunde durch ihren Kopf, so daß keine merkliche Gesprächspause eintrat.
    »Ich habe gesehen, Sie haben heute kein Auge von mir gewandt«, sagte sie mit tiefer, vibrierender Stimme und berührte seine Hand.
    Natürlich nicht! Sie hatte ja dafür gesorgt, daß die Gäste sie keinen Augenblick vergaßen.
    Der Graumelierte widersprach nicht, sondern senkte bekennend den Kopf.
    »Aber ich habe Sie nicht angeschaut. Überhaupt nicht.«
    »Das habe ich b-bemerkt.«
    »Und zwar aus Angst … Ich habe das Gefühl, Sie sind hier nicht zufällig aufgetaucht. Das Schicksal hat uns zusammengeführt. Und das hat mir Angst gemacht.«
    »D-das Schicksal?« fragte er.
    Sein Blick war genau richtig – aufmerksam und wohl auch ein wenig verblüfft.
    Glikerija beschloß, nicht unnütz Zeit zu verlieren. Was sein mußte, mußte sein. Also stürzte sie sich Hals über Kopf ins Joch: »Wissen Sie was? Fahren wir fort von hier. Zum Teufel mit dem Abendessen. Mögen sie tratschen, das ist mir egal.«
    Fandorin zögerte höchstens einen winzigen Moment. SeineAugen bekamen einen metallischen Glanz, seine Stimme klang gepreßt.
    »Na dann, fahren wir.«
     
    Auf der Fahrt in die Ostoshenka benahm er sich seltsam. Er griff nicht nach ihrer Hand, versuchte nicht, sie zu küssen, ja, er sprach nicht einmal mit ihr.
    Glikerija schwieg ebenfalls und versuchte zu ergründen, wie sie sich diesem eigenartigen Mann gegenüber am besten verhielt.
    Weshalb war er so angespannt? Er hatte die Lippen fest zusammengepreßt und ließ kein Auge vom Kutscher.
    Oh, dieses stille Wasser war tief! Sie verspürte ein süßes Beben und ärgerte sich sogleich: Laß den Weiberquatsch, das ist kein romantisches Abenteuer, du mußt Wassja retten.
    Im Hauseingang benahm Fandorin sich noch befremdlicher.
    Er ließ die Dame vorgehen, folgte ihr jedoch nicht gleich, sondern erst nach einigem Zögern, dann aber sehr rasch, beinahe in Sprüngen.
    Die Treppe lief er als erster hinauf, dabei hielt er die Hand in der Manteltasche.
    Vielleicht ist er ja nicht ganz richtig im Kopf, dachte die Lidina plötzlich erschrocken.
    Aber zur Umkehr war es nun zu spät. Sie schloß die Tür auf.
    Fandorin schob sie beiseite und sprang voran. Mit einem Satz drehte er sich um und preßte den Rücken an die Wand der Diele. Dann blickte er rasch nach links, nach rechts und nach oben.
    In seiner Hand glänzte eine kleine schwarze Pistole.
    »Was ist los mit Ihnen?« rief Glikerija ernstlich erschrocken. Der verrückte Untersuchungsführer fragte: »Also, wo ist er?«
    »Wer?«
    »Ihr Liebhaber. Oder Ihr Chef. Ich weiß ja nicht, in welchem Verhältnis Sie zu ihm stehen.«
    »Von wem reden Sie?« stammelte die Lidina in Panik. »Ich verstehe nicht …«
    »Von dem Mann, in dessen Auftrag Sie handeln«, unterbrach Fandorin sie ungeduldig und horchte in die Wohnung. »Dem Stabskapitän, Ihrem Reisegefährten. Er hat Ihnen doch aufgetragen, mich hierher zu locken. Aber in der Wohnung ist er nicht, das würde ich spüren. Also, wo ist er?«
    Sie schlug die Hände vor die Brust. Er wußte Bescheid, er wußte alles! Aber woher?
    »Wassja ist nicht mein Liebhaber«, platzte sie heraus, denn sie wußte, nein, spürte, daß sie jetzt die Wahrheit sagen mußte. »Er ist mein Freund, und ich will ihm tatsächlich helfen. Fragen Sie mich nicht, wo er ist, das sage ich Ihnen nicht. Erast Petrowitsch, mein Lieber, ich möchte Sie um Erbarmen bitten!«
    »Worum?«
    »Um Erbarmen! Der Mann hat eine Unachtsamkeit begangen. Von Ihrem militärischen Standpunkt aus mag das als Verbrechen gelten, aber es war lediglich Zerstreutheit! Darf denn Zerstreutheit so hart bestraft werden?«
    Fandorin runzelte die Stirn und steckte die Pistole weg.
    »Ich v-verstehe nicht … Von wem reden Sie?«
    »Na von ihm! Von Wassja Rybnikow! Ja, er hat Ihre Zeichnung verloren, aber wollen Sie einen guten Menschen nun deshalb zugrunde richten?

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