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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Verlierer.
    Fandorins ärgster Feind, das wilde, sinnlose Chaos, starrte ihn aus den fleckigen Augen der dunklen Fenster an, grinste ihm aus den fauligen Mäulern der Torwege entgegen. Das vernünftige, zivilisierte Leben kauerte bang zurückgezogen in den dünnen Drähten der Laternen, die hilflos blinkend das Trottoir säumten.
    Masa erwartete ihn am Zaun.
    »Ich weiß nicht, was passiert«, begann er hastig und führte Fandorin am Teich entlang. »Sehen Sie selbst. Böse Mann Mylnikow und fünf andele sind über die Treppe dort ins Haus geslichen. Das war – vor zwölf Minuten.« Er warf einen zufriedenen Blick auf die goldene Uhr, die Fandorin ihm seinerzeit anläßlich des fünfzigsten Geburtstags des Mikado geschenkt hatte. »Ich habe Sie gleich angelufen.«
    »Ach, so ein Ärger!« rief Fandorin wehmütig. »Dieser Schakal hat alles ausgeschnüffelt und wieder alles verdorben!«
    Masa bemerkte philosophisch: »Jetzt ist sowieso nichts mehr zu ändern. Sehen wir, wie es weitergeht.«
    Und das taten sie.
    Links und rechts vom Eingang lag je ein Fenster. In keinem brannte Licht.
    »Seltsam«, flüsterte Fandorin. »Was machen sie da im Dunkeln? Keine Schüsse, keine Schreie …«
    Im selben Augenblick ertönte ein Schrei – nicht laut, aber von so animalischer Angst erfüllt, daß Fandorin und sein Diener, ohne sich abzusprechen, aus ihrem Versteck sprangen und zum Haus liefen.
    Ein Mann kam auf allen vieren die Treppen herausgekrochen. »Bansai! Bansai!« schrie er ununterbrochen.
    »Komm schon!« sagte Fandorin zu Masa, der stehengeblieben war. »Was hast du denn?«
    Sein Diener hatte die Arme vor der Brust verschränkt – die personifizierte beleidigte Leberwurst.
    »Sie haben mich belogen, Herr. Dieser Mann ist Japaner.«
    Für Überredungsversuche war keine Zeit. Außerdem hatte Fandorin Skrupel.
    »Er ist kein Japaner«, widersprach Fandorin. »Aber du hast recht: Du solltest besser gehen. Neutralität ist Neutralität.«
    Fandorin seufzte und ging weiter. Masa seufzte gleichfalls und trottete von dannen.
    Hinter dem Pensionat kamen nacheinander drei Schatten hervorgeschossen – Männer in gleichartigen Mänteln und Melonen.
    »Jewstrati Pawlowitsch!« riefen sie, packten den Kriechenden und stellten ihn auf die Beine. »Was ist mit Ihnen?«
    Der Angesprochene versuchte sich loszureißen.
    »Ich bin Fandorin«, sagte Fandorin, während er näher kam.
    Die Agenten wechselten einen Blick, sagten jedoch nichts – eine weitere Vorstellung erübrigte sich offenbar.
    »Er ist nicht ganz richtig im Kopf«, seufzte der Älteste der Agenten. »Jewstrati Pawlowitsch war schon lange nicht mehr ganz bei sich, das ist unseren Leute längst aufgefallen. Aber nun ist er vollkommen übergeschnappt.«
    »Japanischer Gott … Bansai … Hinweg, Dämon!« Er zappelte und wehrte sich noch immer.
    Damit er Ruhe gab, drückte Fandorin ihm die Arterie ab, und der Hofrat verstummte. Er ließ den Kopf sinken, gab einen Schnarchervon sich und sackte in den Armen seiner Mitarbeiter zusammen.
    »Mag er eine Weile liegenbleiben, ihm passiert nichts. Na los, mir nach!« befahl Fandorin.
    Er ging rasch durch alle Zimmer und schaltete das Licht ein.
    Die Wohnung war menschenleer und verlassen. Nur im Schlafzimmer bewegte sich der Vorhang am weit offenen Fenster.
    Fandorin rannte hin. Draußen lag ein Hof, dahinter Brachland und die dunklen Silhouetten der Häuser.
    »Er ist weg! Warum stand niemand unterm Fenster? Das sieht Mylnikow gar nicht ähnlich!«
    »Ich hab dort gestanden, da hinten«, rechtfertigte sich einer der Agenten. »Als ich Jewstrati Pawlowitsch schreien hörte, bin ich losgerannt. Ich dachte, er braucht Hilfe …«
    »Wo sind denn unsere Männer?« Der Älteste blickte sich erstaunt um. »Mandrykin, Lepinsch, Sapljukin, Kutko und, wie heißt er gleich, der mit den abstehenden Ohren. Etwa ihm nach, durchs Fenster? Dann hätten sie doch gepfiffen …«
    Fandorin machte sich an eine gründlichere Untersuchung der Wohnung. Im Zimmer links von der Diele entdeckte er auf dem Teppich Blutspritzer. Er berührte sie – sie waren frisch.
    Er schaute sich um, ging zielstrebig zur Anrichte und riß die angelehnte Tür auf.
    Dahinter klemmte in einer Schraubzwinge eine kleine Armbrust. Benutzt.
    »So, so, ein altbekannter Trick«, murmelte Fandorin und tastete an der Stelle mit den Blutflecken den Boden ab. »Aha, da ist ja d-die Feder. Unterm P-parkett versteckt. Und wo ist der Körper?«
    Wieder schaute er sich im Zimmer um.

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