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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Gesicht, sondern starren auf die Kleider. Dabei soll doch die Aufmerksamkeit dem Porträt gelten, nicht dem Rahmen. Nun aber war es genau umgekehrt. Der in Kalkutta gekaufte Aufzug, der in Indien durchausam Platz gewesen war, wirkte hier in Yokohama lächerlich. Der Menge am Ufer nach zu urteilen, kleidete man sich hier nicht im Kolonialstil, sondern ganz normal, europäisch. Fandorin tat, als bemerke er die neugierigen Blicke nicht (die ihm spöttisch erschienen), mimte mit aller Kraft den Ungerührten und dachte nur an eins: sich so schnell wie möglich umzuziehen.
    Auch der Konsul schien von seinem Äußeren frappiert – das spürte Fandorin an seinem stechenden Blick, den nicht einmal die dunkle Brille zu verbergen mochte.
    Während Fandorin den Konsul eingehender betrachtete, stellte er wie gewohnt deduktiv-analytische Betrachtungen an. Alter – siebenundvierzig, achtundvierzig. Verheiratet, aber kinderlos. Klug, gallig veranlagt, neigt zu Spott, ein exzellenter Diplomat. Was noch? Ungesunde Lebensweise. Die Ringe unter den Augen und der gelbliche Ton der Haut zeugten von einer angegriffenen Leber.
    Und Yokohama gefiel dem jungen Beamten nach dem ersten Eindruck tatsächlich nicht. Er hatte gehofft, ein Bild wie auf einer Lackschatulle vorzufinden: Mehrstöckige Pagoden, Teehäuschen, übers Wasser huschende Dschunken mit Segeln aus Tierhaut – dies aber war eine ganz gewöhnliche europäische Küstenpromenade. Nicht Japan, sondern eher Jalta. Und dafür hatte er den halben Erdball umrundet?
    Als erstes entledigte sich Fandorin seines albernen Helms – auf höchst simple Weise. Zunächst nahm er ihn ab, als sei ihm heiß. Als sie dann die Treppe zur Uferpromenade hinaufstiegen, legte er den Kopfputz der Kolonisatoren auf eine Stufe und ließ ihn dort liegen – sollte ihn mitnehmen, wer wollte.
    Der Omurasaki mochte sich nicht von Fandorin trennen. Er verließ den Helm und schwebte flügelschlagend über der Schulter des jungen Mannes, setzte sich jedoch nicht darauf – er hatte einen verlockenderen Landeplatz entdeckt: Auf der Schulter eines Rikschakulis schillerte, von glänzenden Schweißtropfen bedeckt, eine rotblaugrüne Drachen-Tätowierung.
    Der leichtflügelige Reisende setzte seine Füßchen auf den Bizeps und erfaßte noch den simplen bronzebraunen Gedanken des Eingeborenen (Kayui! – das kitzelt), worauf sein kurzes Leben endete. Der Kuli schlug sich mit der flachen Hand auf die Schulter, und von dem Schönen blieb nur ein staubiges graublaues Klümpchen.
     
    Sorglos um Schönheit
    Und keine Furcht vor dem Tod:
    Des Schmetterlings Flug.

Der alte Kuruma
    »Herr Titularrat, ich erwartete Sie eigentlich mit der ›Wolga‹ vor einer Woche, am ersten Mai«, sagte der Konsul und blieb vor einem lackierten Einspänner stehen, der seine besseren Zeiten sichtlich hinter sich hatte. »Aus welchem Grund geruhten Sie sich zu verspäten?«
    Diese Frage, zwar in strengem Ton vorgetragen, im Grunde aber ganz natürlich, machte Fandorin verlegen.
    Der junge Mann hustete und verzog das Gesicht.
    »Verzeihen Sie. Ich hatte mich erkältet …«
    »In Kalkutta? Bei vierzig Grad Hitze?«
    »Das heißt, nein, nicht erkältet, ich habe v-verschlafen … Jedenfalls habe ich mein Schiff v-verpaßt. Ich mußte auf den nächsten D-dampfer warten.«
    Fandorin errötete plötzlich und hatte nun fast denselben Farbton wie das Gespann.
    »Ts-ts-ts!« Doronin musterte ihn mit freudigem Erstaunen, wobei er die Brille auf die Nasenspitze schob. »Er ist rot geworden! Ein schöner Petschorin 1 ! Er kann nicht lügen! Großartig.«
    Doronins gallige Miene hellte sich auf, in den trüben, rotgeäderten Augen blitzten Fünkchen.
    »Das ist also kein Druckfehler in der Dienstliste, wir sind tatsächlich erst zweiundzwanzig Jahre alt, wir spielen nur den romantischen Helden«, schnurrte der Konsul, womit er Fandorin noch verlegener machte. Nun erst recht in Fahrt, zwinkerte er ihm zu und sagte: »Ich wette, eine Hindu-Schönheit. Erraten?«
    Fandorin runzelte die Brauen und sagte knapp »nein«, kein Wort mehr, so daß unklar blieb: keine Schönheit, oder doch, aber keine Hindu?
    Der Konsul setzte das peinliche Verhör nicht fort. Seine anfängliche Abneigung hatte sich verflüchtigt. Er nahm den jungen Mann am Arm und zog ihn zu dem Einspänner.
    »Steigen Sie ein, steigen Sie ein. Das ist das gängigste Transportmittel in Japan. Es heißt Kuruma.«
    Fandorin wunderte sich, daß kein Pferd eingespannt war. Einen Augenblick lang

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