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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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sah er ein phantastisches Bild vor sich: Ein Wundergespann, das allein die Straße entlangjagt, die Deichselarme ausgestreckt wie rote Fühler.
    Der Kuruma nahm den jungen Mann mit sichtlicher Freude auf und wiegte ihn auf dem schäbigen, aber weichen Sitz. Doronin dagegen empfing er unfreundlich – er jagte ihm eine gebrochene Feder ins ohnehin dürre Gesäß. Der Konsul rutschte hin und her, um eine bequemere Position zu finden, und knurrte: »Dieses Gefährt hat eine üble Seele.«
    »Was?«
    »In Japan hat jedes Geschöpf, ja sogar jeder Gegenstand eine eigene Seele. Zumindest glauben das die Japaner. Wissenschaftlich nennt man das ›Animismus‹. Ah, da kommen ja unsere Pferdchen.«
    Drei Eingeborene, deren ganze Kleidung aus enganliegenden Pantalons und fest zusammengedrehten Tüchern auf dem Kopfbestand, griffen nach der Deichsel, riefen »Hej-hej-tja!« und trappelten in Holzpantinen die Straße entlang.
    »So jagt die wilde, schnelle Troika an der Wolga Lauf entlang«, sang Doronin in angenehmem Tenor und lachte.
    Fandorin aber erhob sich, die Hand an der Seitenwand, und rief: »Herr Konsul! Wie kann man sich von Menschen ziehen lassen! Das … das ist barbarisch!«
    Er verlor die Balance und fiel in den Sitz zurück.
    »Gewöhnen Sie sich daran.« Doronin lachte. »Sonst müssen Sie zu Fuß gehen. Droschken gibt es hier kaum. Diese Burschen heißen Jinrikisha oder, wie die Europäer sagen: Rikschakulis.«
    »Aber warum spannt man denn keine Pferde ein?«
    »Pferde gibt es in Japan nur wenige, und sie sind teuer, Menschen dagegen gibt es viele, und sie sind billig. Rikschakuli ist ein neuer Beruf, vor zehn Jahren hatte man davon hier noch nie gehört. Fortbewegung auf Rädern gilt als europäische Neuerung. So ein armer Kerl läuft am Tag an die sechzig Werst. Dafür ist die Bezahlung für hiesige Begriffe sehr gut. Wenn er Glück hat, verdient er einen halben Yen, das ist ein Rubel. Allerdings wird ein Rikschakuli nicht alt – die Arbeit ist zu anstrengend. Drei, vier Jahre, und er geht zu Buddha.«
    »Das ist ungeheuerlich!« Fandorin verzog das Gesicht und schwor sich, dieses beschämende Transportmittel nie wieder zu benutzen. »Sein Leben so gering zu schätzen!«
    »Daran werden Sie sich gewöhnen müssen. In Japan ist ein Menschenleben nur eine Kopeke wert – das eigene ebenso wie ein fremdes. Warum sollten sie auch kleinlich sein, die Ungläubigen? Bei ihnen gibt es schließlich kein Jüngstes Gericht, nur einen langen Zyklus von Wiedergeburten. Heute, also im jetzigen Leben, mußt du die Kutsche ziehen, aber wenn du das redlich tust, sitzt du dafür morgen in einem Kuruma.«
    Der Konsul lachte, aber irgendwie zweideutig. Fandorin hörteaus diesem Lachen nicht Spott über den fremden Glauben heraus, sondern eher eine Art Neid.
    »Wenn Sie schauen wollen, Yokohama besteht aus drei Teilen«, begann Doronin zu erläutern, während er mit seinem Spazierstock in die jeweilige Richtung wies. »Dort drüben, wo Sie die eng aneinandergedrängten Dächer sehen, ist die Eingeborenenstadt. Hier in der Mitte ist das eigentliche Settlement: Banken, Geschäfte, Institutionen. Und links, jenseits des Flusses, ist das Bluff, ein Stück gutes altes England. Wer es sich leisten kann, siedelt sich dort an, fern vom Hafen. Überhaupt kann man in Yokohama durchaus zivilisiert leben, ganz europäisch. Es gibt mehrere Clubs: einen Ruderclub, einen Kricketclub, einen Tennisclub, einen Reitclub, sogar einen gastronomischen. Übrigens wurde vor kurzem auch ein Athletikclub eröffnet. Ich denke, dort wird man Sie mit Freuden aufnehmen.«
    Bei diesen Worten schaute er sich um. Der roten »Troika« folgte eine ganze Karawane mit Fandorins Gepäck. Gezogen wurden die Wagen von ebensolchen gelbhäutigen Zentauren, in Paaren eingespannt oder allein. Den Schluß des Zuges bildete ein Leiterwagen mit Gymnastikgeräten: gußeiserne Hanteln, ein Boxsack, ein Bündel Expander, und zuoberst funkelte das bereits erwähnte polierte Stahlrad – ein »Royal Crescent Tricycle«, ein amerikanisches Patent.
    »Alle Ausländer, bis auf die Botschaftsangestellten, leben lieber bei uns als in der Hauptstadt«, prahlte der alteingesessene Yokohamaer. »Zumal man mit der Eisenbahn in nur einer Stunde im Zentrum von Tokio ist.«
    »Es gibt hier sogar eine Eisenbahn?« fragte Fandorin wehmütig, der letzten Hoffnung auf fernöstliche Exotik beraubt.
    »Eine ganz ausgezeichnete!« rief Doronin enthusiastisch. »Der Yokohamaer von heute bestellt

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