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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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beging nach japanischem Brauch Harakiri. Seitdem ist Minister Okubo der einzige Hahn im hiesigen Korb. Richtig von Ihnen, daß Sie mitschreiben«, lobte der Konsul, als er sah, daß Fandorin mit dem Bleistift etwas in ein ledergebundenes Heft kritzelte. »Je schneller Sie in die Feinheiten der hiesigen Politik eindringen, desto besser. Übrigens werden Sie gleich heute Gelegenheit haben, sich den großen Okubo anzusehen. Um vier Uhr findet die feierliche Eröffnung eines Heims für Gefallene Mädchen statt. Diese Idee ist für Japan etwas vollkommen Neues – bislang ist es hier niemandem in den Sinn gekommen, Kurtisanen umzuerziehen. Die Mittel für dieses fromme Werk stellt nicht etwa ein Missionarsclub, sondern ein japanischer Wohltäter, eine Säule der Gesellschaft, ein gewisser Don Tsurumaki. Da versammelt sich heute die creme de la creme der beau monde von Yokohama. Auch der Korse wird erwartet. Zur feierlichen Zeremonie wird er kaum erscheinen, aber zum Junggesellenball am Abend ganz bestimmt. Der ist rein inoffiziell und hat in keiner Weise mit der Umerziehung der Dirnen zu tun, ganz im Gegenteil. Sie werden sich nicht langweilen. ›Er kam, wie Tschazki, heim und fand beim Ball sich wieder, kaum an Land.‹ 2 «
    Doronin zwinkerte ihm erneut zu, doch Junggesellenfreuden reizten den Vizekonsul nicht.
    »Ich werde mir Herrn Okubo ein andermal ansehen. Ich bin ein wenig erschöpft von der Reise und würde es vorziehen, mich auszuruhen. Wenn Sie also erlauben …«
    »Ich erlaube nicht«, unterbrach ihn der Konsul mit gespielter Strenge. »Sie kommen mit zum Ball – keine Widerrede. Betrachten Sie das als Ihren ersten Dienstauftrag. Sie werden dort viele einflußreiche Leute sehen. Auch unser Marineattaché Bucharzew wird da sein, der zweite Mann in der Botschaft. Nein, eigentlich der erste«, fügte Doronin mit bedeutungsvoller Miene hinzu. »Machen Sie sich mit ihm bekannt, und morgen fahre ich mit Ihnen zu Seiner Exzellenz, Sie vorstellen. Ach, da ist ja schon das Konsulat. Tomare!« rief er den Rikschakulis zu. »Merken Sie sich die Adresse, mein Lieber: Uferstraße Bund, Haus 6.«
    Fandorin erblickte ein Steingebäude in U-Form, dessen Seiten zur Straße zeigten.
    »Im linken Flügel ist meine Wohnung, im rechten Ihre, und dort in der Mitte liegen die Amtsräume.« Doronin wies hinter die Umzäunung – in der Tiefe des Hofes befand sich ein Paradeflügel, auf dem die russische Fahne wehte. »Wir wohnen gleich an unserem Arbeitsplatz.«
    Die Diplomaten stiegen aus dem Kuruma, der Fandorin zum Abschied noch einmal zärtlich wiegte, den Konsul aber grimmig mit der Federspitze in die Hose zwickte.
     
    Fluchend und stöhnend
    Passierst du die Schlaglöcher
    Du mein Kuruma.

Die Augen eines Helden
    Im Empfangssalon kam den Eintretenden ein junger Japaner entgegen, sehr ernst, mit Krawatte und Nickelbrille. Auf dem Tisch standen zwischen Aktenordnern und Papierstapeln zwei kleine Flaggen – eine russische und eine japanische.
    »Machen Sie sich bekannt«, stellte Doronin vor. »Shirota. Steht das achte Jahr bei mir in Diensten. Als Dolmetscher, Sekretär und unersetzlicher Helfer. Sozusagen mein Schutzengel und Schreiber. Seien Sie ihm gewogen.«
    Fandorin wunderte sich, daß der Konsul es für nötig hielt, ihn sogleich über die bedauernswerte familiäre Lage 1 seines Mitarbeiters in Kenntnis zu setzen. Vermutlich lag das traurige Ereignis noch nicht lange zurück, obgleich nichts an der Kleidung des Schreibers von Trauer zeugte, bis auf die schwarzen Ärmelschoner aus Satin. Fandorin verbeugte sich voller Mitgefühl und wartete auf eine Fortsetzung, doch Doronin schwieg.
    »Wsewolod Vitaljewitsch, Sie haben vergessen, seinen Namen zu nennen«, erinnerte ihn Fandorin halblaut. Der Konsul lachte.
    »Shirota – das ist sein Name. Als ich gerade erst hier angekommen war, hatte ich schreckliches Heimweh. Alle Japaner sahen für mich gleich aus, und ihre Namen waren Kauderwelsch. Ich saß hier mutterseelenallein, es gab noch nicht einmal ein Konsulat. Kein einziger russischer Laut, kein einziges russisches Gesicht. Also umgab ich mich möglichst mit Einheimischen, deren Namen vertraut klangen. Mein Lakai hieß Mikita. Das schreibt sich mit drei Hieroglyphen und bedeutet ›Feld mit drei Bäumen‹. Mein Dolmetscher wurde Shirota, das heißt auf Japanisch ›Weißes Feld‹. Und dann habe ich noch die reizende Obayashi-San, mit der ich Sie später bekanntmachen werde.«
    »Die japanische Sprache klingt für das

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