Diamantene Kutsche
Lippe, um nicht vor Verzweiflung aufzuheulen. Sein Leben war hin, vernichtet durch einen bösartigen Würfel. Ein hohles, sinnloses Ende.
Natürlich würde er versuchen, die Türhüter zu überwältigen. Leise, mit gesenktem Kopf wollte er zur Tür schleichen. Den ersten Schlag würde er dem langarmigen Fudo versetzen – der war stärker und gefährlicher. Wenn er Glück hatte, den Mine-Punkt unterm Kinn traf und Fudo den Kiefer ausrenkte, würde dem das Prügeln vergehen. Aber Gundari konnte er nicht mehr überraschen, und das bedeutete, er, Tanuki, ging sinnlos zugrunde. Er würde die Tür nicht öffnen, Gonza nicht hereinlassen können …
Neiderfüllt blickte Tanuki zu den Opiumrauchern. Die pennten, und alles war ihnen egal. Wenn er doch auch so daliegen könnte, sinnlos lächelnd an die Decke starren, einen Speichelfaden am Mund, die Finger träge um die duftende weiße Kugel gelegt …
Er seufzte und erhob sich entschlossen.
Plötzlich öffnete Gundari das kleine Fenster in der Tür. Er schaute hinaus und fragte: »Wer da?«
Drei Personen kamen herein. Als erster ein ausländisch gekleideter Japaner mit kurzgeschnittenem Haar. Er verzog angeekelt das Gesicht, während die Türhüter ihn abtasteten, und blickte sich nicht um. Ihm folgte eine weiße Frau, vielleicht auch ein junges Mädchen – man wußte bei ihnen ja nie, wie alt sie waren, zwanzig oder vierzig. Sie war furchtbar häßlich: große Füße und Hände, häßliches gelbes Haar und eine Nase wie ein Krähenschnabel. Tanuki hatte sie schon gestern hier gesehen.
Gundari tastete die Gelbhaarige ab, Fudo durchsuchte indessen den Dritten, einen älteren, übermäßig hochgewachsenen Gaijin. Der musterte neugierig die Spelunke: die Spieler, die Opiumraucher, die niedrige Theke mit den Trinkschalen und kleinen Krügen. Wäre nicht seine enorme Größe gewesen, hätte der Gaijin ausgesehen wie ein Mensch: normale schwarze Haare, an den Schläfen ehrwürdig ergraut.
Doch als der Hüne näher kam, sah Tanuki, daß auch er häßlich war. Die Augen des Gaijin waren von unnatürlicher Farbe, von derselben wie der verdammte Würfel, der den armen Tanuki zugrunde gerichtet hatte.
Nein, nicht du wirfst ihn –
Er schleudert dich hin und her,
Der kleine Würfel.
Der blaue Würfel liebt den Gaijin
Im Haus des Kapitäns Blagolepow war es unbehaglich. Nicht nur, weil auf dem Tisch der Tote lag, in einer geflickten alten Uniformjacke und mit kupfernen Fünfkopekenstücken auf den Augendeckeln (ob er die wohl eigens zu diesem Zweck aus Rußland mitgebrachthatte?). Alles in dieser verfallenen Behausung roch nach Armut und schalem, schimmligem Elend.
Fandorin betrachtete mit Leidensmiene das dunkle Zimmer: Aufgeplatzte Bastmatten auf dem Boden, an Möbeln lediglich der bereits erwähnte ungestrichene Tisch, zwei wacklige Stühle, ein windschiefer Schrank, ein Regal, darin ein einziges Buch, vielleicht auch ein Fotoalbum. Vor der Ikone in der Ecke brannte eine fadendünne Kerze – von der Sorte, von der man in Rußland fünf Stück für einen Groschen bekam. Am traurigsten nahmen sich die kläglichen Versuche aus, dieser Höhle ein wenig Behaglichkeit zu verleihen: ein besticktes Deckchen auf dem Bord, armselige Vorhänge, ein Lampenschirm aus dickem gelbem Papier.
Mademoiselle Blagolepowa, Sofja Diogenowna, entsprach voll und ganz dieser Behausung. Sie sprach leise, fast im Flüsterton, schniefte mit ihrer geröteten Nase, kuschelte sich in ein verwaschenes Tuch und schien jeden Moment gründlich und anhaltend in Tränen ausbrechen zu wollen.
Um keine Kummerbekundungen zu provozieren, zeigte Fandorin sich traurig, aber streng, wie es einem Vizekonsul in Ausübung seiner Dienstpflicht anstand. Das Mädchen tat ihm schrecklich leid, aber der Vizekonsul fürchtete Frauentränen und mochte sie nicht. Seine Beileidsworte fielen aus Unerfahrenheit ein wenig tolpatschig aus.
»Erlauben Sie mir in meinem Namen, d-das heißt, eigentlich im Namen d-des Russischen Staates, den ich hier v-vertrete … Das heißt, natürlich nicht ich, sondern der Herr K-konsul …«, faselte Fandorin aufgeregt und heftiger stotternd als gewöhnlich.
Als Mademoiselle Blagolepowa das Wort Staat hörte, riß sie erschrocken die blaßblauen Augen auf und biß in den Saum ihres Tuchs. Fandorin stockte und verstummte.
Zum Glück half Shirota ihm aus der Patsche. Für ihn war eine solche Mission offenbar nichts Neues.
»Wsewolod Vitaljewitsch Doronin bat mich, Ihnen sein
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