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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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tiefempfundenes Beileid zu übermitteln«, sagte der Schreiber und verbeugte sich förmlich. »Der Herr Vizekonsul wird die nötigen Papiere unterschreiben und Ihnen auch eine finanzielle Unterstützung auszahlen.«
    Zwei Waisen – dieses alberne, unter diesen traurigen Umständen gänzlich unangebrachte Wortspiel huschte dem Vizekonsul durch den Kopf. Er faßte sich rasch und händigte dem Fräulein die fünf behördlichen Münzen sowie die beiden von Doronin persönlich aus und legte leicht errötend noch eine Handvoll von sich dazu.
    Das hatte die erwünschte Wirkung. Mademoiselle Blagolepowa hörte auf zu schluchzen, zählte rasch die mexikanischen Silbermünzen auf ihrer flachen Hand und verbeugte sich tief, wobei ihr am Hinterkopf zu einem Kranz festgesteckter Zopf sichtbar wurde.
    Ihr Haar war dicht und von schönem goldenem Weizenblond. Ohne ihren Teint und den dümmlich-erschrockenen Ausdruck ihrer Augen hätte sie als hübsch gelten können.
    Shirota machte Fandorin Zeichen: Er legte die Finger zusammen und fuhr damit in der Luft herum. Ah, die Quittung.
    Fandorin zuckte die Achseln – das paßt jetzt nicht, später. Doch der Japaner schob der Mademoiselle schon das Papier hin, und sie setzte bedächtig mit einem Bleistift einen verschnörkelten Kringel darunter.
    Shirota setzte sich an den Tisch, holte Papier hervor und ein tragbares Tintenfaß. Er wollte die Sterbeurkunde ausstellen.
    »Aus welchem Grund und unter welchen Umständen trat der Tod ein?« fragte er sachlich.
    Mademoiselle Blagolepowa verzog das Gesicht zu einer weinerlichen Grimasse.
    »Papa kam am Morgen nach Hause, gegen sieben. Er sagte, mir ist nicht gut, Sonja. Ich hab so ein Ziehen in der Brust …«
    »Am Morgen?« fragte Fandorin. »Hat er denn nachts gearbeitet?«
    Er bedauerte sogleich, daß er gefragt hatte. Sofort rannen die Tränen in Strömen.
    »Nei-in«, heulte Mademoiselle Blagolepowa. »Er hat die ganze Nacht im ›Rakuen‹ gesessen. Das ist so ein Etablissement, eine Art Schenke. Nur daß man bei uns in der Schenke Wodka trinkt, hier dagegen raucht man böses Kraut. Ich war um Mitternacht dort, habe ihn angefleht: ›Papa, kommen Sie mit nach Hause. Sie werden doch wieder alles Geld verrauchen, und die Wohnung ist nicht bezahlt, und das Lampenöl ist auch alle.‹ Er kam nicht mit, er jagte mich davon. Er hätte mich beinahe geschlagen. Und als er sich am Morgen nach Hause schleppte, waren seine Taschen leer. Ich machte ihm Tee. Er trank ein Glas. Dann sieht er mich auf einmal seltsam an und sagt: ›Es ist aus, Sonja, ich sterbe. Verzeih mir, Tochter.‹ Und läßt den Kopf auf den Tisch sinken. Ich hab ihn geschüttelt, aber er war tot. Die Augen zur Seite gerichtet, der Mund stand offen …«
    Damit brach der traurige Bericht ab, von Schluchzen erstickt.
    »Die Umstände sind klar«, erklärte Shirota gewichtig. »Schreiben wir: ›Plötzlicher Tod infolge natürlicher Ursachen‹?«
    Fandorin nickte und schaute von dem weinenden Mädchen zu dem Toten. Was für ein sonderbares Schicksal! Am Rande der Welt am berauschenden chinesischen Kraut zu sterben …
    Der Schreiber kratzte mit der Feder übers Papier, das Mädchen weinte, der Vizekonsul blickte düster zur Decke. Die Decke war ungewöhnlich, mit Brettern verkleidet. Ebenso die Wände. Als lebten sie in einer Kiste. Oder in einer Tonne.
    Aus Langeweile berührte Fandorin die rauhe Oberfläche.
    »Die Holzverkleidung hat Papa eigenhändig gemacht«, erklärte Mademoiselle Blagolepowa näselnd. »Es sollte aussehen wie auf einem Schiff. Als er seinerzeit als Schiffsjunge anfing, waren dieSchiffe noch ganz aus Holz. Einmal schaute er die Wand an, schwang plötzlich den Arm und rief: ›Der Name eines Sterblichen ist sein Schicksal, ihm entgeht man nicht! Wie man dich benannt hat, so wirst du dein ganzes Leben verbringen. Habe ich mich etwa nicht dagegen gesträubt? Ich bin aus dem Priesterseminar weggelaufen und zur See gefahren, trotzdem beschließe ich mein Leben wie Diogenes – in einer Tonne!‹«
    Überwältigt von der Erinnerung, weinte sie noch heftiger als zuvor. Fandorin, die Augen vor Mitgefühl zusammengekniffen, reichte ihr sein Taschentuch – ihr eigenes konnte man bereits auswringen.
    »Ich danke Ihnen, Sie guter Mensch«, schluchzte sie und schneuzte sich in den feinen Batist. »Noch dankbarer, bis in alle Ewigkeit dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie mir helfen würden, mein Eigentum zurückzubekommen.«
    »Welches Eigentum?«
    »Der Japaner, dem Papa

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