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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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beste Geisha in der ›Chrysantheme‹, das ist das Haus dort mit den roten Laternen am Eingang. O-Kiku verliebte sich in einen ihrer Kunden, einen Kabuki-Schauspieler. Doch seine Gefühle erkalteten, und da tötete sie ihn mit Rattengift. Auch sie selbst nahm das Gift, mußte sich jedoch erbrechen und starb nicht. Man spülteder Mörderin den Magen aus und schlug ihr den Kopf ab. Vor der Hinrichtung dichtete sie einen schönen Haiku, einen Dreizeiler. Moment, ich übersetze ihn schnell …«
    Shirota schloß die Augen, konzentrierte sich und deklamierte im Singsang:
    »In der Nacht ein Sturm,
    Im Morgengrauen Stille.
    Einer Blume Traum.«
     
    Er erklärte: »Die Blume, das ist sie selbst, denn ›Kiku‹ heißt Chrysantheme, der Sturm, das ist ihre Leidenschaft, die Stille die bevorstehende Hinrichtung und der Traum – das menschliche Leben. Der Richter hat angeordnet, der Kopf solle eine Woche lang vor dem Eingang der Teestube hängen – als Lektion für die anderen Kurtisanen und zur Strafe für die Inhaberin. Ein solches Aushängeschild gefällt bestimmt keinem Kunden.«
    Fandorin war beeindruckt, sowohl von der Geschichte wie auch von der japanischen Justiz, am meisten aber von dem erstaunlichen Gedicht. Mademoiselle Blagolepowa dagegen blieb ungerührt. Ohne übermäßiges Entsetzen bekreuzigte sie sich vor dem abgeschlagenen Kopf – vermutlich hatte sie sich in den Jahren in Japan an die Eigenheiten der hiesigen Rechtssprechung gewöhnt. Weit mehr interessierte sie die Spelunke »Rakuen« – mit weit aufgerissenen Augen starrte sie die solide Eichentür an.
    »Sie haben nichts zu befürchten, Mademoiselle«, beruhigte sie Fandorin und wollte hineingehen, doch Shirota sprang ihm in den Weg.
    »Nein, nein«, erklärte er mit entschiedener Miene, »das ist meine Aufgabe.«
    Er klopfte an und betrat einen dunklen Gang. Die Tür schlug sogleich wieder zu, offenbar von einer Feder gezogen.
    »Das ist hier so üblich. Sie lassen immer nur einen herein«, erklärte Mademoiselle Blagolepowa.
    Die Tür öffnete sich wieder, wie von selbst, und Fandorin ließ der Dame den Vortritt.
    Sie stammelte »merci« und verschwand.
    Schließlich war Fandorin an der Reihe.
    Etwa fünf Sekunden stand er in vollkommener Dunkelheit, dann öffnete sich vor ihm eine zweite Tür, und dahinter roch es nach Schweiß, Tabak und etwas merkwürdig Süßlichem. Opium, vermutete Fandorin und schnupperte.
    Ein untersetzter Bursche (Raubtiergesicht, um die Stirn eine Binde mit Krakeln darauf) klopfte Fandorins Seiten ab und tastete unter seinen Armen herum. Der zweite, der genauso aussah, durchsuchte ungeniert Mademoiselle Blagolepowa.
    Fandorin wollte diese unerhörte Schamlosigkeit empört unterbinden, doch Mademoiselle Blagolepowa sagte rasch: »Halb so schlimm, daran bin ich gewöhnt. Das muß sein, hier treiben sich viele gefährliche Gestalten rum.« Dann sagte sie noch etwas auf Japanisch – offenkundig etwas Beschwichtigendes.
    Shirota war bereits drin – er stand ein wenig abseits, und seine ganze Haltung drückte Mißbilligung aus.
    Fandorin aber war neugierig.
    Auf den ersten Blick erinnerte diese japanische Spelunke sehr an eine Moskauer Chitrowka-Schenke der übelsten Sorte, einen der Ganoventreffpunkte. Nur war es in Chitrowka weit schmutziger und der Fußboden vollgespuckt, hier dagegen mußte man, bevor man den mit Bastmatten ausgelegten Raum betrat, die Schuhe ausziehen.
    Mademoiselle Blagolepowa war schrecklich verlegen, und Fandorin begriff nicht gleich, weshalb. Dann entdeckte er den Grund – das arme Mädchen trug keine Strümpfe. Taktvoll wandte er den Blick ab.
    »Nun, wo ist Ihr Schuldner?« fragte er munter und schaute sich um.
    Die Augen gewöhnten sich schnell an die trübe Beleuchtung. In einer entfernten Ecke lagen und saßen auf Polstermatten regloseGestalten. Nein, eine bewegte sich: Ein magerer Chinese mit langem Zopf blies auf den Docht einer sonderbaren Lampe, die vor ihm stand, stieß mit einer Nadel gegen eine kleine weiße Kugel, die auf dem Feuer erhitzt wurde, dann steckte er die Kugel in den Kopf einer langen Pfeife und zog daran. Einige Augenblicke lang wiegte er den Kopf, dann lehnte er sich zurück und nahm erneut einen Zug.
    In der Mitte des Raumes, an einem Tisch mit winzigen Beinen, saß ein halbes Dutzend Spieler. Ein paar Männer spielten nicht, sondern sahen nur zu – genau wie in einer Kaschemme in Chitrowka.
    Den Wirt erkannte Fandorin auf Anhieb. Ein halbnackter Mann mit unnatürlich

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