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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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aufgeblähtem Oberkörper schüttelte einen Becher, dann warf er zwei Würfel auf den Tisch. Aha – sie würfelten. Erstaunlicherweise rief das Resultat bei den um den Tisch Herumsitzenden keinerlei Emotionen hervor. Bei uns wären die Gewinner in freudige Flüche ausgebrochen, und die Verlierer würden ebenfalls fluchen, nur wütend, dachte Fandorin. Die hier aber teilten schweigend das Geld auf, dessen größter Teil an den Buckligen ging, und tranken eine trübe Flüssigkeit aus kleinen Schalen.
    Mademoiselle Blagolepowa nutzte die Pause und trat zum Wirt, verbeugte sich unterwürfig und trug ihre Bitte vor. Der Bucklige hörte sie mürrisch an. Einmal sagte er »He-e-e«, als sei er erstaunt (vermutlich seine Reaktion auf die Nachricht vom Tod des Kapitäns). Als Mademoiselle Blagolepowa verstummte, knurrte er: »Nani-o itterunda!« und noch ein paar kurze, bullernde Sätze.
    Mademoiselle Blagolepowa weinte leise.
    »Was ist? Weigert er sich?« fragte Fandorin und berührte ihren Arm. Sie nickte.
    »Dieser Mann sagt, er sei quitt mit dem Kapitän. Der habe den Kutter vom Schornstein bis zum Anker verraucht«, übersetzte Shirota.
    »Er lügt!« rief Mademoiselle Blagolepowa. »Papa kann nicht dasganze Geld verbraucht haben! Er hat mir selbst gesagt, daß noch fünfundsiebzig Yen übrig sind!«
    Der Wirt winkte Fandorin heran und sagte in gräßlichem Englisch zu ihm: »Want play? Want puh-puh? No want play, no want puh-puh, go-go!«
    Shirota blickte unruhig zu den muskulösen Burschen mit den weißen Stirnbändern, die von verschiedenen Ecken des Saales zu dem kleinen Tisch strebten, und flüsterte: »Da ist nichts zu machen. Es gibt nichts Schriftliches, also läßt sich nichts beweisen. Wir müssen gehen, sonst gibt es womöglich eine Inzidenz.«
    Mademoiselle Blagolepowa weinte leise und verzweifelt. Fandorins Batisttuch war schon ganz naß, und sie holte ihr eigenes hervor, das inzwischen ein wenig getrocknet war.
    »Was ist denn das für ein Spiel?« erkundigte sich Fandorin neugierig. »Ist das sch-schwer?«
    »Nein, ganz einfach. Es heißt ›Teka-hanka‹, das bedeutet ›gerade oder ungerade‹. Legt man sein Geld links von dieser Linie ab, setzt man auf gerade, legt man es rechts ab, auf ungerade.« Der Schreiber sprach hastig und nervös und zog dabei den Vizekonsul mit zwei Fingern sacht zum Ausgang. »Wirklich, kommen Sie. Dies ist ein ganz, ganz übler Ort.«
    »Na, dann probiere ich es mal. Ein Yen sind nach aktuellem Kurs zwei Rubel, nicht?«
    Fandorin ging ungelenk in die Hocke, holte sein Portemonnaie heraus und zählte fünfzehn »Rote« ab. Das entsprach genau fünfundsiebzig Yen. Er legte den Einsatz links von der Linie ab.
    Der Wirt wunderte sich nicht über die Zehnrubelscheine mit dem Bild des bärtigen Michail Fjodorowitsch – offenbar waren Russen im »Rakuen« keine allzu seltenen Gäste. Erstaunt war der Bucklige nur über die Höhe des Einsatzes, denn keiner der anderen Spieler hatte mehr als fünf Yen auf den Tisch gelegt.
    Es wurde sehr still. Die Gaffer rückten näher, hinter ihnenpostierten sich die Aufpasser mit den Stirnbändern, die den vorsichtigen Shirota so eingeschüchtert hatten. Ein rundgesichtiger stämmiger Japaner mit einem gewachsten Zopf auf dem kahlgeschorenen Kopf, der gerade aufbrechen wollte, überlegte es sich anders und verharrte auf der Stelle.
    Der Becher bebte in der kräftigen Hand des Buckligen, die Würfel klapperten, und mit einem Schwung rollten die Würfel über den Tisch. Der rote blieb nach mehreren Umdrehungen mit der Fünf oben liegen. Der blaue rollte bis fast an den Rand und kam direkt vor Fandorin zum Liegen – eine Drei.
    Über dem Tisch erhob sich ein Seufzer.
    »Habe ich gewonnen?« fragte Fandorin Shirota.
    »Ja!« flüsterte der Schreiber. Seine Augen waren blank vor Begeisterung.
    »Nun, dann sagen Sie ihm, daß er mir fünfundsiebzig Yen schuldet. Er soll sie M-mademoiselle Blagolepowa geben.«
    Fandorin wollte aufstehen, doch der Wirt packte ihn am Arm.
    »No! Must play three! Rul!«
    »Er sagt, laut den Regeln seines Etablissements muß man mindestens dreimal setzen«, dolmetschte der erblaßte Shirota, obwohl Fandorin auch ohne ihn verstanden hatte.
    Der Schreiber versuchte offenbar zu widersprechen, doch der Wirt, der schon einen Haufen Yen auf den Tisch geschüttet hatte, zog sie wieder zu sich heran. Ohne ein nochmaliges Spiel würde er das Geld nicht herausrücken.
    »Lassen Sie nur.« Fandorin zuckte die Achseln. »Wenn er es

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