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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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»Mitralklappenprolapssyndrom.«
    Der Schreiber nickte respektvoll, Mademoiselle Blagolepowa aber brach in leises, verzweifeltes Weinen aus, als habe diese Nachricht sie endgültig umgeworfen.
    »Was soll ich denn jetzt tun, Herr Vizekonsul?« fragte sie mit versagender Stimme. »Ich fürchte mich hier allein. Wenn nun Semushi kommt, sich das Geld zurückholen will? Kann ich nicht bei Ihnen im Konsulat übernachten? Meinetwegen auf Stühlen, ja?«
    »Gut, kommen Sie mit. Uns f-fällt schon etwas ein.«
    »Ich packe nur ein paar Sachen.«
    Sie lief aus dem Zimmer.
    Stille trat ein. Man hörte nur den Doktor bei der Arbeit pfeifen. Dann fiel polternd etwas zu Boden, und Twiggs fluchte: »Damned crown!«, woraus Fandorin schloß, daß der Angelsachse die Schädeldecke fallengelassen hatte.
    Fandorin wurde übel, und um nicht noch mehr Scheußlichkeiten zu hören, knüpfte er mit Shirota ein Gespräch an – er fragte ihn, warum er den Doktor einen »aufrechten Mann« genannt hatte.
    Shirota war erfreut über die Frage – auch ihn peinigte das Schweigen offenbar – und antwortete mit Vergnügen.
    »Das ist eine sehr schöne Geschichte, man wollte darüber sogar ein Stück für das Kabukitheater schreiben. Sie geschah vor fünfJahren, als Twiggs-sensei noch Trauer trug wegen seiner verehrten Gattin und seine verehrten Töchter noch ganz klein waren. Im Club ›United‹ hatte sich der Sensei beim Kartenspiel Bridge mit einem schlechten Menschen gestritten, einem Laufbord. Der Laufbord war noch nicht lange in Yokohama und gewann im Kartenspiel gegen jeden, und wer ihm das übelnahm, den forderte er zum Zweikampf. Er hatte bereits einen Menschen getötet und zwei schwer verwundet. Dafür geschah dem Laufbord nichts, denn so etwas heißt ›Duell‹.«
    »Ach so, ein Raufbold!« erriet Fandorin, anfangs verwirrt durch die seltsame Aussprache von »R« und »L« in der Rede des Schreibers, die ansonsten vollkommen korrekt war.
    »Ja, ja, ein Laufbord«, wiederholte Shirota. »Dieser schlechte Mensch forderte den Sensei also zu einer Schießerei. Der Doktor war in einer schrecklichen Lage. Er konnte nicht schießen, und der Laufbord hätte ihn bestimmt getötet, und dann wären die Töchter Vollwaisen gewesen. Hätte sich der Sensei aber geweigert, würden sich alle von ihm abgewandt haben, und die Töchter hätten sich geschämt für einen solchen Vater. Und er wollte auf keinen Fall, daß die Mädchen sich für ihn schämten. Also erklärte Mister Twiggs, er nähme die Herausforderung an, brauche aber fünf Tage Aufschub, um Vorkehrungen für seinen Tod zu treffen, wie es sich für einen Gentleman und Christenmenschen geziemt. Außerdem verlangte er von den Sekundanten, daß die größte Entfernung festgelegt wird, die der Duellkodex zuläßt – dreißig Schritt. Der Laufbord stimmte verächtlich zu, verlangte aber seinerseits, die Anzahl der Schüsse dürfe nicht begrenzt sein und das Duell müsse ›bis zu einem Resultat‹ fortgesetzt werden. Er sagte, er lasse nicht zu, daß ein ehrenhafter Zweikampf zu einer Komödie gemacht werde. Fünf Tage wurde der Sensei von niemandem gesehen. Man munkelte bereits, er sei heimlich mit einem Schiff davongefahren und habe sogar seine Töchter im Stich gelassen. Doch am festgesetztenTag erschien er zur verabredeten Stunde am Ort des Duells. Alle, die dort waren, erzählten, er sei ein wenig blaß gewesen, aber sehr konzentriert. Die Duellanten nahmen in dreißig Schritt Entfernung voneinander Aufstellung. Der Doktor zog seinen Gehrock aus und stopfte sich Watte in die Ohren. Als der Sekundant sein Tuch schwenkte, hob er die Pistole, zielte sorgfältig und traf den Laufbord mitten in die Stirn.«
    »Was Sie nicht sagen!« rief Fandorin. »Was für ein Glück! Da hatte der Allmächtige wahrlich Erbarmen mit Twiggs!«
    »Das dachten damals alle im Settlement. Doch bald stellte sich heraus, wie es wirklich war. Der Leiter des Schießclubs erzählte, Mister Twiggs habe die gesamten fünf Tage auf dem Schießstand verbracht. Statt zu beten und sein Testament aufzusetzen, hatte er mit einer Duellpistole schießen gelernt, und zwar auf dreißig Schritt Entfernung. Der Sensei war dabei ein wenig ertaubt, traf aber schließlich stets mitten ins Schwarze. Kein Wunder – er hatte immerhin mehrere Tausend Schuß verbraucht. Jeder an seiner Stelle hätte dasselbe erreicht.«
    »Was für ein Teufelskerl!«
    »Manche sagten dasselbe wie Sie. Andere aber waren empört und warfen dem Doktor vor,

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