Diamantenraub
in den Schrank.
Chris nickte. Zu ärgerlich, dass seine Eltern sich ausgerechnet für diese Gäste entschieden hatten. Doch am Telefon waren sie noch recht freundlich gewesen, und sie hatten alles daran gesetzt, gerade in »Haus Leuchtfeuer« aufgenommen zu werden.
In dem Moment ertönte von draußen Frau Niederhubers quengelnde Stimme: »Hallo, ist denn da niemand?«
Chris stöhnte. »Ich gehe zu ihr«, sagte er, »mal schauen, was jetzt schon wieder los ist.«
Frau Niederhuber stand, ungeduldig von einem Fuß auf den anderen tretend, an der Rezeption, daneben Bernd, der wie ein kleines Kind die Hand seiner Mutter umklammert hielt.
»Na endlich«, brummte sie, »in gut geführten Pensionen müssen die Gäste nicht laut rufen, bevor jemand kommt.«
Chris biss sich auf die Lippen. Es bereitete ihm größte Mühe, höflich zu bleiben. Wie gerne hätte er dieser aufgeblasenen Ziege einmal richtig die Meinung gesagt! Doch seine Eltern hatten ihm das natürlich verboten.
»Was gibt es denn?«, fragte er daher mit übertriebener Freundlichkeit.
»Das ist ja wohl die Höhe!«, empörte sich Frau Niederhuber. »Siehst du nicht, dass sich mein kleiner Bernd katastrophal langweilt?«
»Das mag schon stimmen, aber eigentlich ist das nicht mein Problem«, entgegnete Chris gereizt.
»So! Du meinst also, dich völlig aus der Verantwortung ziehen zu können? Das ist typisch für die heutige Jugend. Da lebst du nun vollständig vom Geld deiner Eltern und bist nicht bereit, ihre Pension durch freundliches Benehmen den Gästen gegenüber zu unterstützen!«
»Ich helfe meinen Eltern sehr viel, aber es gehört nicht zum Service unseres Hauses, Kindermädchen zu spielen!«
»Und was ist mit der familiären Atmosphäre? Man hat uns ausdrücklich Familienanschluss zugesichert!«
Chris schwieg. Er durfte die Wahrheit ja nicht sagen, nämlich, dass alle Gäste vorher herzlich aufgenommen worden waren, dass sie gemeinsame Wanderungen unternommen und abends vorm Kamin gesessen hatten. Doch mit Niederhubers gab es einfach kein Auskommen. Man stöhnte, wenn sie morgens zum Frühstück erschienen, und man war erleichtert, sobald sie abends in ihren Betten verschwanden.
»Ich möchte, dass du Bernd mitnimmst, wenn du deine Freunde in der Eulenburg besuchst!«, sagte Frau Niederhuber und blickte ihr Gegenüber lauernd an. »Wenn wir schon vernachlässigt werden, so soll der Junge nicht auch noch darunter leiden! Was sagst du dazu, Schatz?« Bernd hatte abwesend zum Fenster hinausgestarrt, obgleich sich die Unterhaltung einzig und allein um ihn drehte, jetzt wandte er sich schwerfällig um.
»Ich möchte mit Chris in die Eulenburg«, sagte er träge.
»Da hörst du es!«, triumphierte seine Mutter sofort. »Das Kind braucht Anschluss. Entsetzlich, wenn man bedenkt, wie lange er hier schon einsam herumgesessen hat!«
»Ich denke, Bernd kann sich bestens allein beschäftigen«, entgegnete Chris, mittlerweile ziemlich gereizt. »Die besondere Vorliebe Ihres Sohnes ist es nämlich, die Bücher meiner Eltern zu entwenden.«
Frau Niederhuber erblasste. Es war das erste Mal, dass Chris sie so sah: wortlos und entwaffnet. Dabei war er sich gar nicht bewusst, etwas besonders Schlimmes gesagt zu haben. Sie machte auf dem Absatz kehrt und rauschte davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.
»Nanu, der habe ich es anscheinend ganz schön gegeben!«, wunderte sich Chris. »Anscheinend ist sie es nicht gewohnt, die Wahrheit über ihren Sohn zu erfahren.«
Bernd blickte ihn aus hasserfüllten Augen an. »Ihr werdet euch noch wundern, du und deine teuren Freunde!« Es klang fast wie eine Drohung.
Den ganzen Tag über konnte Chris die Auseinandersetzung mit Niederhubers nicht vergessen. Zwar gehörten solche Streitereien bereits zum Tagesprogramm, und es hätte ihn fast schon gewundert, wenn mehrere Stunden hintereinander friedlich verlaufen wären, doch dieses Mal war aus den ständigen Nörgeleien Ernst geworden. Vielleicht fühlte sich Frau Niederhuber gekränkt, weil ich ihren Sohn als Schnüffler entlarvt habe, überlegte er, während er über die Klippen zur Eulenburg stapfte. Doch dann wäre es typischer für sie gewesen, wenn sie Bernd mit Händen und Füßen verteidigt hätte. Was aber, wenn sie selber diejenige war, die sich für das Buch interessiert hatte? Chris blieb abrupt stehen. Das musste die Lösung sein! Bernd hatte im Auftrag seiner Eltern gehandelt - und vermutlich war er gar kein emsiger Schüler, der seine Kenntnisse in
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