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Diamantenraub

Diamantenraub

Titel: Diamantenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Schlitten hinter sich her ziehend, die Dorfstraße entlang. Chris wartete, bis sie vorüber waren. Er verspürte ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Sollte er wirklich das tun, was man ihm schon in frühester Kindheit verboten hatte - die alte Lina besuchen? Angeblich war sie eine Wahrsagerin, die mit Hilfe von Karten und schweren Glaskugeln in die Zukunft zu blicken vermochte. Viele behaupteten sogar, sie sei eine Hexe, und es gebe nichts Vergangenes und Zukünftiges, worüber sie nicht Bescheid wüsste. Obwohl sie überall in der Öffentlichkeit mit Abneigung und Zurückhaltung behandelt wurde, blühten ihre Geschäfte bestens. Vermutlich suchten die Leute sie nachts in aller Heimlichkeit auf, um sie tagsüber, in Gegenwart der anderen Dorfbewohner, wieder zu meiden. Die Einzigen, die stets unbefangen auf die Alte zugingen, waren immer wieder die Kinder. Doch rasch wurden sie dann von ihren Müttern bei der Hand genommen und fortgezogen. Chris hatte dem allgemeinen Gerede nie viel Glauben geschenkt, und trotzdem befiel ihn ein leises Unbehagen, als er schließlich vor dem baufälligen Häuschen stand und zögernd anklopfte.
    Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis von drinnen schlurfende Schritte zu hören waren. Dann wurde der Schlüssel mehrmals umgedreht, und im Türspalt erschien das faltige Gesicht der Alten. Sie trug einen langen Morgenmantel, dicke Filzpantoffeln und die grauen Haare hingen ihr lose über die Schultern.
    »Was willst du?«, fragte sie lächelnd. Dabei blickten ihre lebhaften Kulleraugen so freundlich, dass Chris rasch seine Scheu verlor.
    »Ich muss Sie in einer wichtigen Angelegenheit sprechen«, sagte er. »Darf ich hereinkommen?«
    Kurze Zeit später saß er in dem winzigen, bis unter die Decke mit alten Möbeln und Büchern vollgestellten Kämmerchen. Die Fensterläden waren verdunkelt, sodass von außen kein Lichtschein hineinfallen konnte, in der Ecke brannte eine Petroleumlampe.
    »Du bist doch der kleine Junge von ›Haus Leuchtfeuer‹«, eröffnete Lina das Gespräch, während sie es sich in einem großen Ohrensessel bequem machte. Chris beobachtete fasziniert, wie tief sie darin einsank. Total kaputte Sprungfedern, schoss es ihm durch den Kopf. Laut sagte er: »Ich heiße Christian, und ich ...« Er brach ab und blickte verlegen zu Boden. »Also eigentlich dürfte ich Sie gar nicht um Rat fragen«, fuhr er leise fort, »ich habe nämlich keinen Cent in der Tasche.«
    »Wenn es weiter nichts ist: Für junge Leute wie dich arbeite ich auch gern mal umsonst.« Sie lächelte, und tausend kleine Falten erschienen um ihre Augen. »Du siehst, Elvira und ich benötigen nicht viel zum Leben ...« Elvira musste wohl die weiße Ratte sein, die lebhaft über Tische und Stühle huschte.
    Hastig zog Chris das alte Familienbuch aus der Tasche. »Es gehört meinen Eltern«, sagte er, »und ich wüsste zu gerne, was darin steht. Vielleicht können Sie etwas mit der Schrift und den Skizzen anfangen.«
    »O ja, ich kenne dieses Buch«, rief die Alte sofort, während sie behutsam die vergilbten Seiten durchblätterte. »Ihr Larsens seid eine Familie, die schon seit vielen Generationen hier lebt. Was die Wenigsten jedoch wissen, ist, dass deine Vorfahren in der Eulenburg gewohnt haben. Irgendwann wurde sie dann verkauft, und heute gehört sie den Andresens. Aber ursprünglich haben die Larsens sie erbaut und bewohnt.«
    »Dann beziehen sich die Aufzeichnungen also auf die Eulenburg?«, erkundigte sich Chris atemlos.
    »Richtig! Die gute Margaret, bei allen Geistern, sie möge jetzt glücklich sein, sie hat dieses Buch verfasst. Und was sie beschreibt, ist ihr Leben in der Eulenburg. Es muss sehr arbeitsreich und eintönig gewesen sein: Kühemelken, Schweinefüttern, Kochen, Waschen, Putzen. Hier steht zum Beispiel, wie sehr sie sich nach Abwechslung sehnt; die einzigen Unterbrechungen ihres tristen Alltages waren zahlreiche Schwangerschaften, Geburten und Fehlgeburten. Und dann die ständige Angst, wenn die Männer zum Fischen hinausruderten. Ich glaube, eines ihrer Kinder starb tatsächlich in den Fluten. Ja, richtig, da steht: Der älteste Sohn ertrank, als er in einer stürmischen Nacht gemeinsam mit den anderen Hausbewohnern den Deich zu reparieren versuchte.«
    Chris schluckte. Obwohl viel Zeit seit dem Unglück verstrichen war, verspürte er noch nachträglich Mitleid mit seiner Urahnin.
    »Was ist das?«, fragte er nach einer Weile und deutete auf eine Kohlezeichnung.
    »Dies stellt einen

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