Diamantenschmaus
Stratege, das nicht selbst erkannt hatte.
»Gut aufgepasst, Carmen«, meinte er goschert [36] ,
»du hast viel gelernt. Ich weiß das natürlich alles und wollte sehen, ob du das
auch schon durchschaust. Reif bist du für Führungsaufgaben. Du hast den Test
bestanden. Wie gesagt, sehr gute Arbeit.« Verdammt, der Schmerz im Daumen war
kaum mehr auszuhalten.
Das war wirklich eine bodenlose Frechheit, ärgerte sich
Carmen, da führte sich dieser Trottel auf wie ein … na, eben wie ein
Trottel. Und danach versucht er seine Blödheit noch als eine Art Test zu
verkaufen. Das war doch wirklich der Gipfel. Einen Moment lang dachte sie
ernsthaft daran, den Idioten einfach aussteigen und auf die Fahrbahn hinsetzen
zu lassen. Um dann einfach über ihn drüberzufahren. Immer wieder hin und her,
hin und her. So lange, bis das Problem gelöst war. Sie kannte da eine einsame
Sackgasse in der Nähe von Bockfließ [37] ,
da wäre sie sicher ungestört. Und 50.000 Euro für sie allein? So viel Geld
hatte sie noch nie im Leben besessen. Bis heute noch nicht einmal gesehen. Wenn
sie damit einfach verschwand …
Nach wenigen Minuten hatte sie ihre unheiligen Gedanken
wieder überwunden. Nein, sie war ganz bestimmt keine Heilige. Aber trotz allem,
was in ihrem Leben schiefgelaufen war, war sie keine Mörderin.
Sie nahm den leeren Aktenkoffer, stieg aus und warf ihn in
einen Container mit Bauschutt, der sich praktischerweise am Straßenrand befand.
*
Die Signale waren auf dem Monitor ganz deutlich
zu sehen. Beide Sender bewegten sich gleichzeitig in exakt dieselbe Richtung,
befanden sich aller Wahrscheinlichkeit nach noch immer in dem Variant, der als
Fahrzeug der Entführer identifiziert worden war.
Nach einem kurzen Halt trennten sich die beiden Signale. Der
eine Punkt bewegte sich munter weiter in Richtung Praterstern, Lassallestraße
und Reichsbrücke, während der andere stationär-traurig in der
Franzensbrückenstraße zurückblieb.
Wallner wies die beiden Überwachungsteams an, dem
zu observierenden Fahrzeug in sicherem Abstand zu folgen.
»Da wir dank des Senders jederzeit in der Lage sind, den
aktuellen Aufenthaltsort des Objektes zu kennen, demzufolge verifizieren
können, wo sich das observierte, möglicherweise von observierten Subjekten
besetzte Objekt befindet«, erklärte er Palinski, der erstmals bei einer
derartigen Verfolgung dabei war, »brauchen wir nicht das Risiko eingehen, die
Aufmerksamkeit der Observierten durch zu knappes Aufrücken an das observierte
Objekt übermäßig auf uns zu lenken, sie gewissermaßen auf das Faktum des
Observiertwerdens aufmerksam zu machen.«
Mario betrachtete den alten Freund liebevoll, fast wie ein
Vater seinen etwas zurückgebliebenen Ältesten.
»Klar«, meinte er, »leuchtet mir vollkommen ein. Bloß eines
verstehe ich nicht. An und für sich bist du ein völlig normaler Mensch und
sprichst normalerweise auch völlig normal.« Er grinste. »Das sind ganz schön viele
normal auf einem Haufen, was? Was ich nicht kapiere, ist, warum du in
speziellen Situationen wie dieser ein völlig absurdes, gestelztes, gekünsteltes
Deutsch sprichst, das bei einem nor… also bei einem Durchschnittsbürger sofort
einen Lachkrampf hervorruft. Warum ist das so?«
Der Chefinspektor blickte zunächst etwas betroffen, bevor er
grinste und knapp formulierte: »Das muss dieses verdammte Amtsdeutsch sein.
Immer wieder werde ich damit konfrontiert, hier im Kriminalamt noch viel öfter
als früher am Kommissariat.« Er seufzte hörbar. »Obwohl ich es einfach nicht
beherrsche, dazu muss man offenbar in einer Amtsstube geboren worden sein. Das
heißt, ich spreche Amtsdeutsch wie ein Ausländer, der sich in ›Amtsdeutschland‹
aufhält. Der den einen und anderen Ausdruck aufschnappt und in seine Sprache
einbaut. Daraus entsteht schließlich so ein seltsamer Spruch. Es ist eigentlich
schrecklich.«
Gleichzeitig fing er hellauf an zu lachen. Fast schon ein
wenig hysterisch, fand Palinski.
Inzwischen hatte der Punkt und damit das Auto Deutsch Wagram
erreicht und war im Ortszentrum zum Stillstand gekommen.
Nachdem sich dieser Stillstand über mehr als eine Minute
erstreckte, konnte eine auf Rot geschaltete Ampel als Ursache für das Anhalten
ausgeschlossen werden.
Wallner, der mit seinem Wagen sozusagen die Nachhut bei
diesem Einsatz bildete, befand sich zu diesem Zeitpunkt kurz hinter Aderklaa.
Während er den Wagen rechts am Straßenrand anhielt, setzte er sich mit
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